Worum geht es? Warum kommt es immer wieder zu Kritik bis hin zu
Streikdrohung seitens der Ärztekammer? Und ist dies gerecht-fertigt?
Vor rund einem Jahr, im Juli 2015, kam es nach monatelangen mühsamen
Verhandlungen zu einer Einigung betreffend eine neue Arbeitszeitregelung
für die Wiener Spitalsärzte zwischen Stadt, KAV (Wiener Krankenanstalten-
verbund), Gewerkschaft und Ärztekammer ....
Ende September 2015 kam es dann zur ersten Kritik seitens der
Ärztekammer. Es würden sich jetzt die negativen Auswirkungen des neuen
Arbeitszeitgesetzes zeigen, wurde gewarnt. Das Modell verursache in der
Praxis einen Ärztemangel in den städtischen Spitälern, sagte Hermann
Leitner von der Ärztekammer: „Und das ist logisch nachvollziehbar, dass
man dann halt gewisse Leistun-gen in der Zeiteinheit in einer Ambulanz nicht
mehr erbringen kann, bzw. dass geplante Operationen einer längeren
Wartezeit unterliegen.“
Sein Vorschlag: die Ärzte mit besseren Bedingungen locken.
Das Arbeitszeitmodell an sich wollte Leitner aber nicht abändern. Vielmehr
müssten nun die Spitalsbetreiber versuchen, am Markt mehr Ärzte zu finden.
Als Anreize könnte er sich finanzielle Mittel, attraktivere Arbeitszeiten oder
bessere Ausbildungsbedingungen vorstellen.
Beim Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) wollte man davon aber nichts
wissen. Die längeren Wartezeiten hätten nach Meinung des KAV nichts mit
dem neuen Arbeitszeitmodell zu tun.
Die “Presse” schreibt dazu im Dez.2015 folgendes: “Die Idee ist gut,
die Umsetzung leider nicht. Das ist offenbar das Schicksal von Reformen in
Österreich. Das betrifft die Steuerreform, deren Gegenfinanzierung auf dem
Prinzip Hoffnung und Steuererhöhungen basiert. Das betrifft die Bildungs-
reform, die ein Produkt des allerkleinsten gemeinsamen Nenners ist, auf den
sich die völlig zerstrittene Bundesregierung gerade noch einigen konnte. Und
das betrifft die Reform des Wiener Gesundheitswesens. Letztere ist ein Pa-
radebeispiel für die Situation im österreichischen Gesundheitswesen. Und
wie man es besser nicht macht. Ausgangspunkt war eine Situation, wie sie
österreichweit im Gesundheitssystem herrscht: explodierende Kosten, über-
laufene Ambulanzen, Ineffizienz, die sich auch auf Patienten auswirkt – in
Form langer Wartezeiten auf wichtige medizinische Untersuchungen. Der
Beschluss einer radikalen Neuaufstellung und Modernisierung des Wiener
Spitalssystems im Jahr 2011 war absolut notwendig. (...) Nach einem Kahl-
schlag bei Abteilungen und Ambulanzen werden Patienten mit nicht kriti-
schen Erkrankungen bei den noch vorhandenen Ambulanzen in den nieder-
gelassenen Bereich umgeleitet. Das ist absolut sinnvoll – würden dort nicht
schon heute Kapazitäten fehlen. Auf Spitalstermine für CT und MRT müssen
Patienten monatelang warten, weil die Reduktion der Arbeitszeiten der
Spitalsärzte nun voll durchschlägt. Diese ist zwar seit zehn Jahren bekannt,
Wien hat das völlig verschlafen, weshalb das Gesundheitssystem nun nicht
darauf vorbereitet ist. Als Folge bekommen Wiener selbst bei Verdacht auf
einen Tumor erst Monate später einen Termin beim Radiologen. Auch, weil
die Kapazitäten im niedergelassenen Bereich von den Krankenkassen
gedeckelt wurden. Die Folge: Wer im oben genannten Fall nicht privat
bezahlt, um sofort einen Termin zu bekommen, riskiert, dass ein Tumor
inoperabel wird. Womit die (von der Wiener Stadtregierung) stets dementierte
Zweiklassenmedizin nicht mehr zu leugnen ist.” (Quelle und gesamter Artikel:
http://diepresse.com/home/meinung/kommentare/leitartikel/4882383/Reformen-im-
Gesundheitssystem_Gute-Idee-dilettantische-Umsetzung)
Im April 2016 gab es einen weiteren Artikel der “Presse” zur “Zwei-
Klassen-Medizin” in Österreich: ”Ab Mai soll kein Spitalsarzt des
städtischen Krankenanstaltenverbunds (KAV) mehr Überstunden machen –
weil diese laut „Presse“-Informationen ab September zu einem enormen
finanziellen Engpass führen könnten. Die Symptome beschreibt Wiens Ärzte-
kammer-Präsident, Thomas Szekeres, so: dramatische Leistungsreduktion
samt längeren Wartezeiten für Patienten. Es kommen auf die Wiener also
unlustige Zeiten zu. Außer man hat entsprechende finanzielle Möglichkeiten.
Wie konnte das in einem der (angeblich) besten Gesundheitssysteme des
Planeten passieren? Die Antwort: sehr einfach. Die Wiener Stadtregierung
lernt nun einen Effekt, den jeder Schüler kennt: Hausaufgaben machen sich
nicht von selbst. Und irgendwann kommt der Tag, an dem der Lehrer fragt:
„Ist die Aufgabe erledigt?“ Diese Tage sind für die Wiener Stadtregierung
nun gekommen. Nein, die Aufgabe wurde nicht erledigt. Ja, die Lösung wurde
verschleppt und ignoriert – aus Bequemlichkeit und Angst. Während Schüler
für ein derartiges Verhalten ein sattes Nicht genügend kassieren, ist es in der
Politik anders. Hier kommen völlig Unbeteiligte zum Handkuss, nämlich die
Patienten. Es gab schon zuletzt monatelange Wartezeiten auf teilweise
überlebenswichtige CT- und MRT-Untersuchungen, während Geräte – wegen
der Kostendeckelung durch die Krankenkassen im niedergelassenen Bereich
– in den Ärztepraxen ungenutzt herumstanden. Selbst bei Verdacht auf einen
bösartigen Tumor muss man warten. Nun wird die Zwei-Klassen-Gesellschaft
im Gesundheitssystem weiter zementiert. Lautete früher die erste Frage von
Ärzten an Patienten: „Welche Beschwerden haben Sie?“, lautet sie heute:
„Haben Sie eine Privatversicherung?“ Mit der geht's naturgemäß schneller...”
(http://diepresse.com/home/meinung/kommentare/leitartikel/4969429/Willkommen-im-
osterreichischen-ZweiKlassenGesundheitssystem?from=simarchiv)
Hier ein weiterer Kommentar zur momentanen Situation im Wiener
Gesundheitswesen ...
Und nun (23.8.) spitzt sich die Situation wieder zu. Die Abstimmung der
Ärztekammer hat jedenfalls lt. ORF ergeben, dass die Spitalsärzte zu 92,78
Pro-zent zu einem Streik bereit sind. Grund für die Abstimmung: 40 Nacht-
dienste sollen wegen der neuen Arbeits-zeitregeln gestrichen werden...
Anmerkung: vielleicht sollte die Ärztekammer eine Internetplattform ein-
richten, auf der die Bürger/innen die Möglichkeit haben, ihre Erfahrungen in
Spitälern, Ambulanzen und Arztpraxen zu berichten ...