Die Belagerung hatte am 8. September 1941 begonnen, als die Wehrmacht
ihren Ring um die Stadt geschlossen hatte und dadurch sämtliche
Verbindungen nach Leningrad unterbrochen waren. Sie endete 872 Tage
später. Über eine Million Zivilisten starben entweder an Hunger oder durch
das Artilleriefeuer, welches über die gesamte Dauer der Blockade niemals
aufhörte. Fast die Hälfte dieser Menschen starb auf dem Weg der Stadt
heraus, über die einzige Route, die nicht von den Deutschen kontrolliert
wurde. Diese trug den Namen “Straße des Lebens”. Hunderttausende
Zivilisten starben entlang dieser Straße - im Bombenhagel oder an Hunger.
In moderner Zeit hat keine andere Stadt Hunger und Tod in vergleichbarem
Ausmaß erlebt, und doch glaubten viele Überlebende, die Behörden hätten
die Opferzahlen bewusst nach unten korrigiert. Niemand weiß, wie lange
eine Stadt braucht, um sich von solch extremer Gewalt und allgegenwärtiger
Trauer zu erholen.” (Masha Gessen, “Der Mann ohne Gesicht”, 2012 Piper Verlag,
S.58ff.)
Nach dem Krieg wurde Leningrad zum sowjetischen Symbol von
Widerstandswillen und Leiden im Krieg. Der Wiederaufbau der Stadt wurde
zur Prestigeangelegenheit des kommunistischen Regimes. Innerhalb
kürzester Zeit wurde eine Million Arbeiter in die Stadt gezogen, die sie
wiederaufbauten – die Restaurierung der Kulturdenkmäler besaß dabei eine
besondere Wertigkeit. Bereits 1945 erhielt die Stadt zusätzlich die
Auszeichnung als Heldenstadt. Trotzdem war Leningrad und deren
Bewohner noch jahrzehntelang von Armut und den unvorstellbaren Gräuel
dieser Kriegsjahre gezeichnet.