Ein anderer Aspekt, der die Drohne in die Illegalität verbannen könnte, ist
die Frage der sogenannten Kollateralschäden. Angriffe auf den Gegner müssen
die Verhältnismäßigkeit zwischen getöteten Kombattanten und getöteten Zivilisten
wahren, sonst handelt es sich um ein Kriegsverbrechen, das national und inter-
national zu ahnden ist.
Die Angaben der amerikanischen Regierungsmitglieder bezüglich Kollateral-
schäden unterscheiden sich beträchtlich, je nachdem von wem und wann sie ge-
macht wurden. Der oberste Terroristenjäger und spätere CIA-Chef in der Regie-
rung Obama, John Brennan, verstieg sich einmal zu der Aussage, die ameri-
kanischen Drohnenangriffe hätten zeitweise kein einziges ziviles Opfer verursacht.
Damit wäre dem Gebot der Verhältnismäßigkeit in der Tat Genüge getan.
Die Aussage Brennans wurde jedoch von mehreren Publikationen sowie von
der der City-Universität angegliederten renommierten Londoner Organisa-
tion für investigativen Journalismus im öffentlichen Interesse (The Bureau of
Investigative Journalism) rasch als Lüge entlarvt, und von Regierungsstellen
daraufhin nicht mehr wiederholt.
Das Weiße Haus schwieg sich jedoch noch weitere drei Jahre über die Opferzahlen
seiner Angriffe aus, obgleich es sich dazu verpflichtet hatte, diese öffentlich zu
machen. (…)
Es brauchte mehr als eineinhalb Jahrzehnte Drohnenkrieg, bis das Weiße
Haus die Existenz der Drohneneinsätze überhaupt zugab. Dies tat es auch nur,
weil im Jahr 2015 bei einem Angriff in Pakistan versehentlich ein amerikanischer
sowei ein italienischer Zivilist umkamen. Der damalige Präsident Barack Obama
entschuldigte sich, ohne das Wort „Drohne“ in den Mund zu nehmen, das erste und
einzige Mal öffentlich bei Hinterbliebenen. Er sagte, er habe sich dazu entschlos-
sen, das Programm, das zur Tötung der beidedn Männer geführt habe, öffentlich zu
machen, da deren Familien „verdienen, die Wahrheit zu erfahren.“ Versuche von
Opfern anderer Nationalitäten, vergleichbare Anerkennung zu erlangen, waren
erfolglos. (S.117ff.*)
Der Enthüllungsjournalist Jeremy Scahill konnte geheime Dokumente einsehen,
die belegen, dass die Regierung Obamas systematisch alle unbekannten Opfer ihrer
Angriffe als feindliche Kämpfer in die Statistik aufnahm, obwohl niemand weiß,
um wen es sich handelt. Dies wurde auch von Michael Boyle, einem ehemaligen
Antiterrorexperten in Obamas Wahlkampfteam, bestätigt.
Als in Somalia, wo sich die westlichen Staaten offiziell nicht einmal im Krieg be-
finden, ein einziger amerikanischer Drohnenangriff im Jahr 2016 auf einen Schlag
mehr als 150 Menschenleben auslöschte, war dem Pentagon die genaue Zahl unbe-
kannt. Laut James Clapper stützen sich die USA bei ihren Bemühungen, nach den
eigenen Angriffen Klarheit über die Anzahl der Toten zu bekommen, auf Medien-
informationen. Und Präsident Obama ordnete an, dass sich seine Dienste bei sol-
chen Ermittlungen vor allem auf Nichtregierungsorganisationen (NGOs) berufen
sollten. Es sind freilich genau diese Medien und NGOs, die laut den US-Streit-
kräften nicht wissen, wovon sie sprechen.
Die amerikanische Bürgerrechtsunion fordert, dass die US-Regierung
Einzelheiten über jeden erfolgten Drohnenangriff veröffentlicht – zumindest
im Nachgang. Die Öffentlichkeit habe das Recht zu erfahren, wen ihre Regierung
umbringt. Und falls die Regierung nicht wisse, wen sie umbringt, dann solle die
Öffentlichkeit auch das erfahren. (….)
Unabhängige Experten sind sich indessen einig, dass die offiziellen Verlautba-
rungen bezüglich ziviler Toter bestenfalls als dramatische Untertreibung und
schlimmstenfalls als bewusste Täuschung des amerikanischen Wahlvolks anzu-
sehen sind.
Das erwähnte Londoner Bureau of Investigative Journalism schätzt aufgrund
von zusammengetragenen Daten von Regierungsstellen, Militär, Geheimdienste,
Medienberichten, Universitätsforschern und eigenen Recherchen, dass bei Droh-
nenangriffen in Afhanistan zwischen 2015 und 2017 mindestens 2580 und höch-
sten 3378 Menschen getötet wurden, in Pakistan in den Jahren 2004 bis 2017 zwi-
schen 2501 und 4003 Personen, in Somalia im Zeitraum 2007 bis 2017 zwischen
242 und 418 Menschen und im Jemen gab es von 2002 bis 2017 mindestens 607
und höchstens 880 Drohnentote.
In diesen vier Ländern wurden in den letzten Jahren also insgesamt zwischen
6000 und 8700 Menschen durch eine Drohne außerhalb eines bewaffneten
Konflikts getötet.Das sind mehr Tote, als beim Völkermord im bosnischen
Srebrenica 1995 umgebracht wurden. Dazu kommen mehrere tausend Tote bei
Drohnenangriffen in den tatsächlichen Kriegsgebieten wie in Syrien, im Irak und
in Libyen.
Für Afghanistan stehen die Zahlen ausdrücklich nur für die Angriffe seit 2015, als
der Krieg offiziell seit Jahren zu Ende war, und weit mehr als 90 % der US-Trup-
pen das Land bereits wieder verlassen hatten.
Dass die Drohnenangriffe aus humanitären Gründen so enorm gesteigert
wurden, da sie ungleich präziser seien als herkömmliche Raketen, ist darum
irreführend. Die Militärexperten der Washingtoner Publikation Foreign Policy
kommen zu dem Schluss, dass Drohnenangriffe außerhalb des Kriegsgebietes 35
Mal mehr Zivilisten zum Opfer haben als Luftangriffe bemannter Flugzeuge in
herkömmlichen bewaffneten Konflikten wie in Irak, Syrien oder Afghanistan.
Auch eine vom Vereinigten Generalstab der US-Streitkräfte in Auftrag gegebene
unabhängige Studien vom Juni 2013 bestätigt, dass Drohnen mindestens zehn Mal
so viele zivile Opfer verursachen wie Kampfjets.
Für eine, laut Obama, „chirurgisch präzise“ Waffe müssten solch hohe Zahlen
ziviler Opfer aus politischen Gründen das Ende bedeuten.
Der Wissenschaftler Larry Lewis vom Forschungszentrum Center of Naval Ana-
lyses in Virginia und seine Kollegin Sarah Holewinski, die der Washingtoner
Nichtregierungsorganisation Center for Civilisans in Conflict vorsteht, kamen zu
dem Schluss, dass die Drohnenpiloten schlecht ausgebildet seien und darum fatale
Fehler beim Angriff machten.
Auch seien Angriffe mit Drohnen aufgrund des eingeschränkten Sichtfeldes des
Piloten („Strohhalmblick“) ungenauer als mit herkömmlichen bemannten Flugzeu-
gen; so wie bemannte Flugzeuge wiederum ungenauer als Bodeneinsätze sind.
Dass Präzisionsargument ist schon rein technisch nicht nachvollziehbar, beträgt
der Einschlagsradius eines Drohnengeschosses doch mindestens 15 bis 20 Meter –
oder noch mehr, wenn seinem Einschlag fehlerhafte Informationen zugrunde lie-
gen oder das Geschoss selbst fehlgeleitet wurde. Die Angreifer sind also nicht
nur ihrer Auswahl der Opfer unpräzise, sondern ebenfalls bei deren Erfas-
sung.
Daran ändert auch ein Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf nichts, das im
Rahmen einer Klage gegen die Anschaffung israelischer Drohnen von Seiten der
deutschen Bundeswehr ergangen ist.
Laut dem der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden Entscheid machten es sich
die technisch wenig versierten Richter einfach und stahlen sich mit Hinweisen auf
die angebliche „Präzissionsmunition“ und – der magische Ausdruck taucht auch
hier auf – die „chirurgischen Angriffe“, die ebenfalls Einsätze in „urbanem Gebiet“
erlaubten, davon. Der Anschaffung von Drohnen für die deutsche Bundeswehr
steht also nichts mehr im Wege.
Bei unverhältnismäßig hohen zivilen „Kollateralschäden“ handelt es sich
völkerstrafrechtlich um Kriegsverbrechen. In Ländern, mit denen sich die USA
offiziell nicht einmal im Krieg befinden – und in denen folglich auch keine Kriegs-
verbrechen begangen werden können – sind die in tausendfacher Anzahl und alles
andere als präzise ausgeführten Tötungen, sofern sie sich gegen Zivilisten richten,
Verbrechen gegen die Menschlichkeit. An der rechtlichen Einschätzung des
Drohnenkrieges kann somit kein Zweifel bestehen: Er ist illegal. (S.120ff.*)
Zu Bedenken ist außerdem, dass Drohnenangriffe meist in bewohnbaren Gebieten
stattfinden, wo Kinder zur Schule gehen und Frauen die Gärten bestellen. Denn
Drohnen „greifen in Wirklichkeit vorwiegend dort an, wo ansonsten Sonderein-
satzkommandos Razzien und Verhaftungen durchführen oder – in dicht besiedelten
und unsicheren Stadtvierteln – wo sonst gar nicht eingegriffen wurde. Aufgrund
der Drohneneinsätze gibt es darum nicht weniger, sondern mehr Angriffe, da diese
zusätzlich erfolgen. Die Folge hiervon sind somit auch mehr Tote und Verletzte,
und nicht etwa weniger.
Eine Weltmacht, die Verdächtige auf dem ganzen Planeten aufspürt und von Ge-
heimgefängnis zu Geheimgefängnis verfrachtet, ist in der Lage, sich ohne Drohnen
Zugang in jedes Gebiet zu verschaffen.
Im Jemen stellte der Gouverneur der Region Marib nach einem US-Drohnenan-
griff trocken fest: „wir hätten uns auch selbst darum kümmern können. Es war
nicht nötig, gleich eine Drohne zu schicken.“
Sollte es sich jedoch um umbewohnte, unzugängliche Gebiete handeln, in die sich
einzelne, vom Militär geschasste Kämpfer zurückgezogen haben, so ist noch offen-
sichtlicher, dass die bestausgerüsteten Soldaten mit Hubschraubern und Panzern,
mit Nachtsichtgeräten und schusssicherer Ausstattung sich doch mindestens so
weit vorwagen könnten wie ein einsamer Kämpfer.“ (S.124*)