Das Abkommen Mercosur – Europäische Union
Der Freihandelsvertrag würde ein Nord-Süd-Handelsschema
verfestigen, bei dem die EU Industriegüter liefert und der Mercosur
Rohstoffe und Derivate
Der argentinische Außenminister Julio Fourie deutete an, dass damit gerechnet
wird, Ende des Jahres ein Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen
Union (EU) und den Mercosur-Ländern (= Argentinien, Brasilien, Paraguay,
Uruguay) abzuschließen. Angela Merkel bekräftigte vor Kurzem bei einem
Besuch in Buenos Aires, dass man hart verhandeln werde und nicht alle
Wünsche der Länder dieser Region zufriedenstellend erfüllt werden würden.
Aber die Drohungen aus Europa scheinen keine Bremswirkung zu zeitigen.
Über den Inhalt der Verhandlungen wird größtes Stillschweigen gewahrt, das in
keinem Verhältnis zu den Auswirkungen steht, die die Unterzeichnung des Ab-
kommens für die Bürger haben können. Was man mit Sicherheit weiß, ist, dass
es sich nicht um ein reines Freihandelsabkommen handelt, sondern dass As-
pekte einbezogen werden, die weit darüber hinaus gehen. Die Europäische
Kommission ließ verlauten, dass neben der Aufnahme der Verhandlungen über
Zoll- und zollähnliche Maßnahmen auch neue Regelungen in Bezug auf Dienst-
leistungen, öffentliche Auftragsvergaben, Auslandsinvestitionen und geistiges
Eigentum im Spiel seien.
Zusammengefasst handelt es sich also um ein umfassendes Paket neuer
Bestimmungen, die neue Regeln auferlegen würden, die die Autonomie der
lokalen Wirtschaftspolitik beeinträchtigen würden.
Genau wie die Verhandlungen über die anderen großen regionalen Abkommen
wie TPP (Transpazifisches Partnerschaftsabkommen) oder TTIP (Transatlanti-
sche Handels- und Investitionspartnerschaft) sehen wir uns mit einer großen
Geheimniskrämerei konfrontiert. Auch wenn die endgültige Entscheidung bei
der jeweiligen legislativen Gewalt eines jeden Mitgliedslandes liegt, so haben
bisher die Verhandlungen jedoch vertraulichen Charakter, und nur einige
Dinge, die durchsickern, lassen erahnen, dass diese Abkommen nicht aus-
schließich die Liberalisierung der Wirtschaft und des Handels anvisieren.
Zum Beispiel hat die Europäische Kommission 2016 darauf hingewiesen, dass
das Abkommen mit Mercosur folgende Vorteile für die EU mit sich bringen
würde:
- Sie wäre der einzige Mercosur-Partner, der durch ein Freihandelsabkommen
geschützt wäre.
- Billigerer Zugang zu Rohstoffen.
- Vorzugszugang zum Dienstleistungsmarkt: Telekommunikation, Internet,
Finanzdienstleistungen, Kommerzialisierung und Verkehr.
- Zollsenkungen für in den Mercosur-Markt exportierte Produkte der Europäi-
schen Union. Man muss hervorheben, dass von ihrem Gesichtspunkt aus nicht
nur die Industrieproduktion davon profitieren würde, sondern auch die Her-
stellung von Primärprodukten und Derivaten, wie Milchprodukte, Weine, Liköre,
verarbeitete Lebensmittel, Schokoladenprodukte, alle Art von Schweinefleisch-
erzeugnissen und Obstkonserven.
- Gleichstellung mit den lokalen Unternehmen bei Auftragsvergabe der
öffentlichen Hand.
Was nun ganz strikt den Handel mit Gütern betrifft, so veröffentlichte die FIESP
einen Bericht "Quantitative Analyse der Internationalen Verhandlungen", der
besondere Aufmerksamkeit verdient, da dort die Bereiche aufgezeigt werden,
die in Brasilien die größten Nutznießer und die größten Verlierer wären, falls
ein Abkommen zwischen Mercosur und EU unterzeichnet wird, das die Zölle
zwischen beiden Blöcken absenkt.
In diesem Bericht wird vor Augen geführt, dass die größten Steigerungen beim
Export bei Schweine- und Geflügelfleisch zu verzeichnen wären (plus 959 Milli-
onen US-Dollar), in der Landwirtschaft (plus 775,8 Millionen), bei Edelmetallen
(plus 541,5 Millionen) und bei Rindfleisch (plus 361 Millionen).
Auf der anderen Seite wären die Bereiche, in denen mit dem größten Import-
zuwachs zu rechnen wäre, Maschinen und Ausrüstungen (plus 4,535 Millionen
US-Dollar), Chemie (2,667 Millionen) und Kraftfahrzeuge (plus 1,197 Millionen).
In anderen Worten, der Export von Primärprodukten und Derivaten würde
steigen, während der Import von Industriegütern in größerem Maße steigen
würde. Im Ergebnis dieser Berechnungen wird gezeigt, dass im Falle einer
Vertragsunterzeichnung Brasilien von einem Überschuss von 4,5 Milliarden
Dollar auf ein Defizit von 2,5 Milliarden Dollar im Handel mit der EU absinken
würde.
Es sollte darauf hingewiesen werden, dass bei den französischen, irischen,
rumänischen und polnischen Landwirten und Fleischerzeugern noch immer ein
starker Widerstand gegen das Abkommen vorhanden ist, weil sie Angst vor
dem Zustrom südamerikanischer Produkte haben. Zudem hat Europa nicht vor,
sein Subventionsschema für die Landwirtschaft neu zu ordnen. In diesem
Sinne ist die Größenordnung bezüglich der Liberalisierung der europäischen
Landwirtschaft und Viehzucht ein Gebiet, wo Mercosur am stärksten ist,
obwohl es noch eine unbekannte Größe ist.
Schlussfolgerungen und Aussicht auf das, was kommt
Folglich haben wir es mit einem Abkommen zu tun, das sowohl vom europäi-
schen Gesichtspunkt wie auch von dem der südamerikanischen Unternehmer-
verbände aus ein Nord-Süd-Handelsschema verfestigen würde, bei dem die EU
Industriegüter liefert und Mercosur Rohstoffe und Derivate.
Zudem sind Beschränkungen für eine Politik der industriellen Entwicklung zu
beobachten wie die Verpflichtung, europäische Unternehmen in die Ausschrei-
bungen der öffentlichen Hand einzubeziehen. Auf diese Weise wird eine auto-
nome Wirtschaftspolitik im Mercosur durch die neuen Rechte beeinträchtigt,
über die die europäischen multinationalen Konzerne verfügen würden. Im Er-
gebnis dessen wird die Möglichkeit der peripheren Länder eingeschränkt, aus
der geltenden internationalen Arbeitsteilung auszubrechen.
Es ist noch viel, was wir vom Inhalt der Verhandlungen in Bezug auf das
geistige Eigentum, Herkunftsschutz und Umgang mit ausländischen Inves-
titionen in Erfahrung bringen müssen. Wenn wir die erarbeiteten Vorschläge in
Verträgen solcher Art beurteilen, so können nichtsdestotrotz eine Verlänger-
ung der Patentlaufzeiten und unbedeutendere Regulierungen für ausländische
Unternehmen erwartet werden. Angesichts der Existenz großer multinationaler
Konzerne in Europa und der hohen Anzahl von Patentschöpfungen im alten
Kontinent läuft das auf einen Nettogewinn für die Länder des Nordens zum
Nachteil unserer Länder hinaus.
Während der jüngsten Verhandlungsrunde wurde die Perspektive eröffnet, die
Verhandlungen in der für die vom 2. bis 6. Oktober 2017 in Brasilien angesetz-
ten Runde abzuschließen, um die Unterzeichnung des Abkommens Ende des
Jahres vorzunehmen. Es bleibt abzuwarten, ob bei den Verhandlungen Fort-
schritte erzielt werden und ob die politischen Deklamationen effektiv in neue
Spielregeln umgemünzt werden. In diesem Falle wird der Volkswiderstand die
letzte Klippe für ein Abkommen sein, das a priori den Interessen der Mehr-
heiten konträr gegenüber steht.
Quelle und gesamter Artikel: https://amerika21.de/analyse/183150/abkommen-mercosur-
europaeische-union