Individuation
Individuation (lateinisch individuare, sich unteilbar/untrennbar machen‘) ist der
Weg zu einem eigenen Ganzen. Es beschreibt den Prozess des Ganzwerdens zu
etwas Einzigartigem, einem Individuum.
Im Individuationsprozess eines Menschen wird er zu dem, was er „wirklich“ ist.
Dieser Prozess beinhaltet die Entfaltung der eigenen Fähigkeiten, Anlagen und
Möglichkeiten.
Sein Ziel ist die schrittweise Bewusstwerdung, um sich dadurch als etwas
Eigenes und Einmaliges zu erkennen und zu verwirklichen (Ich-Werdung und
Selbst-Werdung).
Individuation als psychologisches Konzept
In der Entwicklung des Menschen ist die Individuation ein Schritt, zu dessen
Bewältigung ein Konflikt verarbeitet werden muss. In diesem Konflikt geht es
darum, sich über die Normen und Wertvorstellungen anderer (z. B. der Eltern)
hinwegzusetzen und zu eigenen Normen und Werten zu finden.
Dabei ist es nötig, die Erwartungen anderer zu enttäuschen, Verbote zu übertreten
und ein eigenes Maß zur Überwindung ungesunder Anpassung zu finden.
Das Ergebnis dieses Entwicklungsschrittes bildet sich als innere Repräsentanz ab
und nimmt Einfluss auf die Organisation der Persönlichkeit. Je nach Qualität und
Ausreifung dieser inneren Repräsentanz verbessert sich die innere Struktur des
Menschen.
Individuation nach Carl Gustav Jung
Zitat (1933) des Psychoanalytikers Carl Gustav Jung: „Individuation bedeutet:
zum Einzelwesen werden, und, insofern wir unter Individualität unsere in-
nerste, letzte und unvergleichbare Einzigartigkeit verstehen, zum eigenen
Selbst werden. Man könnte ‚Individuation‘ darum auch als ‚Verselbstung‘
oder als ‚Selbstverwirklichung‘ übersetzen.“
Jung betrachtete den Individuationsprozess als einen lebenslangen, unvollendbaren
Prozess mit einer stetigen Annäherung an ein „fernes Ziel“, das Selbst, für den der
Tod die letzte Grenze ist.
Damit setzt er sich vom einseitig ätiologischen (ursächlichen) Denken Freuds
zugunsten im Unbewussten angelegter, seelischer Endabsichten im Hinblick auf
Integration und Ganzheit ab und schließt sich der Vorstellung der Finalität Alfred
Adlers an.
Auf dem Weg seiner Individuation ist der Mensch immer wieder gefordert, sich
aktiv und bewusst den neu auftauchenden Problemen zu stellen und seine Ent-
scheidungen vor sich selbst zu verantworten.
Individuation bedeutet, sich nicht danach zu richten, „was man sollte“ oder „was
im allgemeinen richtig wäre“, sondern in sich hinein zu horchen, um herauszufin-
den, was die innere Ganzheit (das Selbst) jetzt hier in dieser Situation „von mir
oder durch mich“ bewirken will.
Man kann hier die Frage aufwerfen, warum es denn wünschenswert sei, daß
ein Mensch sich individuiere. Es ist nicht nur wünschenswert, sondern sogar
unerläßlich, weil durch die Vermischung das Individuum in Zustände gerät
und Handlungen begeht, die es uneinig mit sich selber machen. Von jeder
unbewußten Vermischung und Unabgetrenntheit geht nämlich ein Zwang
aus, so zu sein und zu handeln, wie man selber nicht ist. Man kann darum
weder einig damit sein, noch kann man dafür Verantwortung übernehmen.
Man fühlt sich in einem entwürdigenden, unfreien und unethischen Zustand
(...) Eine Erlösung aus diesem Zustand aber ergibt sich erst dann, wenn man
so handeln kann, wie man fühlt, daß man ist. Dafür haben die Menschen ein
Gefühl, zunächst vielleicht dämmerhaft und unsicher, mit fortschreitender
Entwicklung aber immer stärker und deutlicher werdend (...) Es muss aller-
dings anerkannt werden, daß man nichts schwerer erträgt als sich selbst.“  
(C. G. Jung 1928)
Testtheoretische Erhebung des Entwicklungsstandes der Individuation
Um den Entwicklungsstand der Individuation bei Erwachsenen messen zu können,
wurde z. B. der Fragebogen PAFS-Q (Personal Authority in the Family System-
Questionnaire von Bray, Williamson & Malone, 1984) entwickelt. Er ist aufgebaut
auf der „Persönlichen Autorität im Familiensystem“.
Die Selbstwerdung (Individuation des Selbst) innerhalb der leiblichen Familie
(Herkunftsfamilie) wird als eine „Autonomie in Bezogenheit“ betrachtet. Dabei
bezieht sich hier die Individuation auf das Geschehen innerhalb eines Familien-
systems mit mehreren Generationen. Wesentliche Elemente dieses Prozesses,
deren Ausreifung Informationen über den Stand der persönlichen Individuation
geben, sind ausgeglichenes „Geben und Nehmen“ zwischen den Generationen und
auch deren Versöhnung untereinander. Das „Abschließen unerledigter Geschich-
ten“ (keine ungeklärten Situationen offenstehen lassen) und eine Entmystifizierung
(unter dem Blickwinkel der Realität betrachten) von Familiengeschichten sind
dabei ebenfalls wesentliche Bestandteile.
Fachlich betrachtet ist eine gute Integration der inneren und äußeren Kohärenz der
multiplen Selbst- und Beziehungsschemata in direktem Bezug zu sehen mit zuneh-
mnder Differenzierung oder Positionierung im Herkunftsfamiliensystem.
Individuation in der Entwicklungspsychologie
Die Psychoanalytikerin Margaret Mahler (1999) (auch: Fred Pine/ Anni Bergman)
beschreibt die kindliche Entwicklung als einen Prozess, der durch Loslösung
(Ablösung) und Individuation geprägt ist (Individuationsprozess in der Entwick-
lungspsychologie). Sie betrachtet die Individuation als eine Folge von Entwick-
lungsschritten, die aus der symbiotischen Verschmelzung mit der Mutter heraus
führen. Ziel dieser Entwicklung ist die Ausbildung von individuellen Eigenschaf-
ten im Verhalten und des Charakters. Die Phasen im Verlauf dieses Entwicklungs-
prozesses sind Aufgaben, die Mutter und Kind bewältigen müssen, wenn die
Entwicklung des Kindes in die Individualität führen soll.
Quelle: Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Individuation)
               dort gibt es weitere Quellenangaben (Jänner 2017)