Die multiple Persönlichkeitsstörung (MPS), auch dissoziative Identitäts-
störung (DIS) genannt, ist eine dissoziative Störung, bei der Wahrnehmung,
Erinnerung und Erleben der Identität der eigenen Person betroffen sind. Sie
gilt als die schwerste Form der Dissoziation.
Die Patientinnen/Patienten haben abwechselnde, unterschiedliche Vorstel-
lungen von sich selbst, wobei scheinbar unterschiedliche Persönlichkeiten
entstehen, die wechselweise die Kontrolle über das Verhalten übernehmen.
An das Handeln der jeweils „anderen Persönlichkeit(en)“ können sich die
Betroffenen entweder nicht oder nur schemenhaft erinnern, oder sie erleben
es als das Handeln einer fremden Person. Folgestörungen sind Depressionen,
Angst, psychosomatische Körperbeschwerden, Selbstverletzung, Essstörun-
gen, Suchterkrankungen und Beziehungsprobleme.
Als Ursache werden Entwicklungsstörungen im Gehirn aufgrund extrem
traumatischer Lebensumstände während der Kindheit angesehen. Entspre-
chende funktionelle und anatomische Veränderungen im Gehirn sind bei
Betroffenen in ihrem Erwachsenenalter vielfach durch statistische Aus-
wertung von Gehirn-Scans nachgewiesen worden.
Im internationalen Diagnose-Handbuch psychischer Störungen wird die
multiple Persönlichkeitsstörung folgendermaßen beschrieben:
- Vorhandensein von zwei oder mehr unterscheidbaren Identitäten oder
Persönlichkeitszuständen (jeweils mit eigenen, relativ überdauernden Mus-
tern der Wahrnehmung von der Beziehung zur und den Denken über die
Umgebung und das Selbst).
- Mindestens zwei dieser Identitäten oder Persönlichkeitszuständen über-
nehmen wiederholt die Kontrolle über das Verhalten der Person.
-Eine Unfähigkeit, sich an wichtige persönliche Informationen zu erinnern,
die zu umfassend ist, als dass sie sich durch gewöhnliche Vergesslichkeit
erklären ließe.
- Die Störung geht nicht auf direkte körperliche Wirkung einer Substanz
(z.B.Blackouts oder Alkoholrausch) oder eines medizinischen Krankheits-
faktors zurück (z.B. Anfälle)
Der kanadische Psychiater Colin Ross schreibt in seinem Buch “Satanic
Ritual Abuse”, dass die MPS nichts anderes ist als “eine chronische post-
traumatische Belastungsstörung des dissoziativen Typs, die in der Kindheit
begonnen hat: es ist eine Art, mit chronischem, unausweichlichen Kindes-
missbrauch umzugehen”. Ein Mediziner, de MPD diagnostiziert, weiß mit 95-
prozentiger Wahrscheinlichkeit, was in der Kindheit dieses Menschen - in
acht von zehn Fällen ist es eine Frau - geschehen ist: Sie wurde sehr früh,
sehr lange, sehr grausam misshandelt. Meistens sexuell. Und nie hat ihr
jemand geholfen.
Colin Ross, Direktor des Dissociative Disorders Unit” in Dallas geht sogar
noch weiter: “Klinische Erfahrungen zeigen, dass sich die komplexe Multiple
Persönlichkeitsstörung mit vielen verschiedenen Persönlichkeitszuständen
und komplizierten amnestischen Barrieren ausschließlich unter den Bedin-
gungen von extremen Kindesmissbrauch entwickelt.” (Fröhling*, S.145ff.)
Betroffene haben zeitweise alternativ wechselnde Vorstellung von sich selbst.
Dies betrifft beispielsweise grundlegende Einstellungen und Gefühle. Die
Wechsel sind begleitet von parallelen Wechseln in messbaren Anzeichen der
Aktivität des vegetativen Nervensystems, wie Puls, Blutdruck, Muskelspan-
nung, Sehschärfe und vielem mehr. Die Wechsel sind eher fließend als plötz-
lich, und die Betroffenen nehmen sie in der Regel lange Zeit nicht als Wech-
sel, sondern als unklare Störungen wahr. Deshalb bleibt DIS oft lange
unerkannt oder falsch diagnostiziert.
Dem Wechsel physiologischer Werte (Puls, Blutdruck, etc.) entspricht auch
ein markanter Wechsel in der Aktivität des Gehirns, wie mit bildgebenden
Verfahren wiederholt nachgewiesen wurde. Bei derartigen Verfahren zeigten
sich sogar Unterschiede zwischen authentischer und simulierter (gespielter)
DIS. Auch spezifische anatomischeAbweichungen im Gehirn von DIS-
Patienten wurden wiederholt festgestellt.
Nach jahrzehntelanger Auswertung einer sehr großen Anzahl von Kranken-
geschichten besteht in Fachkreisen nahezu Einigkeit darüber, dass DIS durch
besondere Störungen der Entwicklung während der Kindheit verursacht
wird. Extrem negative Lebensumstände überwältigender Art wie schwerste
Misshandlung und Missbrauch, insbesondere im Baby- und Kleinstkindalter,
können die Entwicklung einer einheitlichen Persönlichkeit verhindern. Statt-
dessen kann es zu einer Aufspaltung und Abkapselung von Gedächtnisin-
halten kommen, die sich verfestigen und schließlich zu wechselnden und sich
gegenseitig ausschließenden Teilpersönlichkeiten führen.
Die Ergebnisse gezielter Gehirnforschung in diesem Bereich haben diese
Auffassung in vollem Umfang bestätigt.
Die Diagnose erfolgt durch Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese).
Sie ist bei MPS (DIS) eine besondere Herausforderung, da es Teil der Stör-
ung ist, dass die Patienten ihre Teilpersönlichkeiten nur getrennt erleben und
generell die Tendenz haben, sowohl diese Aufspaltung als auch negative Erin-
nerungen zu verbergen. Aus diesen Gründen sind die Risiken außergewöhn-
lich groß, dass MPS fälschlich als eine andere Störung oder eine andere
Störung fälschlich alsMPS diagnostiziert wird.
Die differenzialdiagnostische Abgrenzung zu anderen Störungen ist schwie-
rig. Besonders muss die Unterscheidung von der Borderline-Störung oder
anderen Persönlichkeitsstörungen, der Schizophrenie oder der posttraumati-
schen Belastungsstörung (posttraumatic stress disorder, PTSD) getroffen
werden.
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Patienten mit einer Borderline-Störung leiden unter häufigen Stimmungs-
schwankungen, oft ohne von außen erkennbare Ursache, die zumindest
auf den ersten Blick wie verschiedene Persönlichkeitsanteile imponieren
können. Außerdem sind schwerwiegende Identitätsstörungen typisch für
das Krankheitsbild.
-
Auch manche Formen der Schizophrenie weisen Ähnlichkeit zu Symp-
tomen der multiplen Persönlichkeitsstörung auf: Manche dieser Patienten
erleben Stimmen, die ihre Handlungen kommentieren und beobachten,
ähnlich wie bei ko-bewussten Subpersönlichkeiten.
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Die PTSD teilt mit der multiplen Persönlichkeit die traumatische Genese,
außerdem treten typischerweise dissoziative Symptome auf. Häufig fühlen
die Patienten sich auch von sich selber entfremdet.
Die Behandlung von MPS hat sich als notwendig und wirksam erwiesen.
Dabei ist das Ziel eine Entwicklung hin zu einer mehr einheitlichen
Persönlichkeit. Empfohlen wird hierfür ein Verfahren in mehreren
Abschnitten (Phasen):
1. Herstellung von Sicherheit, Stabilisierung und Minderung der
Symptome,
2. Bearbeitung und Integration traumatischer Erinnerungen,
3. Integration und Wiederherstellung der Identität.
Ein Fall aus dem 16. Jahrhundert wurde erstmals 1896 und dann
erneut 1996 analysiert. Diskussionen über Persönlichkeitsspaltung
waren bei französischen Psychiatern und Philosophen der Jahre
1840 bis 1880 ein häufiges Thema. Der Begriff der Dissoziation als
„Desintegration und Fragmentierung des Bewusstseins“ wurde
1889 durch den französischen Psychiater Pierre Janet (1859–1947)
geprägt.
1973 erschien Sybil, ein von der Journalistin Flora Rheta Schreiber
verfasster Fallbericht über eine Patientin mit 16 Persönlichkeiten.
Aufgrund des Bestsellers meldeten sich in den USA mehrere
hundert Menschen, die glaubten, ebenfalls an dieser Krankheit zu
leiden (Gemäß Wikipedia wurde in späteren Jahren das Buch aufgrund
bestimmter Therapiemethoden (Erzeugung von Medikamentenabhängigkeit,
Elektroschock) und aufgrund kommerzieller Interessen der Beteiligten als
unzuverlässige und irreführende Quelle angesehen.)
Besonders empfehlenswert als Erfahrungsbericht einer multiplen
Persönlichkeitsstörung ist das Buch “Vater unser in der Hölle -
Inzest und Missbrauch eines junge Mädchens in den Abgründen
einer satanistischen Sekte” von Ulla Fröhling, das 1996 erstmals
veröffentlicht wurde und einen tiefen Einblick in die Ursachen,
Erscheinungsformen, Auswirkungen und auch Therapiemög-
lichkeiten dieser schweren Persönlichkeitsstörung verleiht (die
sowohl von The-rapeuten und Ärzten, aber auch von Justiz und
Kriminalisten oft nicht erkannt und deshalb oft falsch behandelt
und beurteilt wird).