Der Nationalrat ist die Abgeordnetenkammer des österreichischen Parlaments. Er
ist gemäß Bundes-Verfassungsgesetz mit dem Bundesrat, der die Vertretung der
Länder darstellt, zur Gesetzgebung des Bundes berufen. Beide Kammern sind als
selbstständige Organe eingerichtet. Generell werden Initiativen zunächst vom
Nationalrat beraten, der Bundesrat bildet dabei im Gesetzgebungsprozess das
bestätigende oder verwerfende Organ. In besonderen Fällen treten Nationalrat und
Bundesrat gemeinsam als Bundesversammlung zusammen.
Sitz des Nationalrates ist das Parlamentsgebäude in der Bundeshauptstadt Wien.
Initiativanträge, Regierungsvorlagen und Volksbegehren
Gesetzesinitiativen können von Abgeordneten (so genannte Initiativanträge) und
Ausschüssen des Nationalrates, der Bundesregierung (so genannte
Regierungsvorlagen), dem Bundesrat und mittels Volksbegehren von Staatsbürgern
eingebracht werden. Die tatsächlich umgesetzten Initiativen gehen aber fast immer
von der Regierung aus; auch dann, wenn die Regierungsfraktionen, um das vor der
Einbringung von Regierungsvorlagen vorgesehene, einige Wochen dauernde
Begutachtungsverfahren zu vermeiden, sie als vermeintlich spontane
Initiativanträge einbringen.
Drei Lesungen des Antrags
Nachdem ein Gesetzesantrag gestellt wurde, sind drei sogenannte Lesungen
(Besprechungen über den Antrag) vorgesehen:
Die erste Lesung ist der Begründung des Antrags und seines Inhalts
gewidmet; danach wird der Vorschlag meist dem zuständigen Ausschuss
oder Unterausschuss zugewiesen.
Die zweite Lesung beginnt mit einem Ausschussbericht über die Vorlage und
ist für die Spezialdebatte vorgesehen, in der der Vorschlag bei Bedarf Absatz
für Absatz diskutiert werden kann.
Die dritte Lesung sollte regelgemäß mindestens einen Tag nach der zweiten
Lesung stattfinden, um eine „Nachdenkpause“ einzuschieben und dann den
gesamten Antrag in dem Wortlaut, der sich aus der zweiten Lesung ergeben
hat, vor dem Gesetzesbeschluss noch einmal zu besprechen. Durch Beschluss
kann sie aber auch unmittelbar auf die zweite Lesung folgen, vor allem,
wenn sich niemand mehr zu Wort melden will, weil die Sache in der zweiten
Lesung bereits „ausdiskutiert“ wurde und die Regierungsfraktionen einig
sind.
Der Nationalrat beschließt einfache Bundesgesetze bei Anwesenheit von
mindestens einem Drittel aller Abgeordneten (Juristen bezeichnen diese
Mindestanwesenheit als Präsenzquorum) mit einfacher Mehrheit. Auf gleiche
Weise kann er sich auflösen oder der Bundesregierung bzw. einzelnen Mitgliedern
derselben das Misstrauen aussprechen.
Bei Beharrungsbeschlüssen nach einem Veto des Bundesrates muss mindestens die
Hälfte aller Abgeordneten anwesend sein. Es genügt die einfache Mehrheit der
Stimmen.
Zum Beschluss von Bundesverfassungsgesetzen sind die Anwesenheit von
mindestens der Hälfte aller Abgeordneten und eine Zweidrittelmehrheit der
Stimmen notwendig.
Außerdem kann der Nationalrat Volksabstimmungen und Volksbefragungen
ansetzen. Eine Volksabstimmung findet auf Anordnung des Bundespräsidenten
statt,
wenn der Nationalrat beschließt, eine Volksabstimmung über einen seiner
Gesetzesbeschlüsse durchzuführen (für diesen Beschluss gelten die gleichen
Anwesenheits- und Mehrheitsregeln wie für den Gesetzesbeschluss), oder
wenn dies die Mehrheit der Mitglieder des Nationalrates verlangt (Art. 43 B-
VG);
über jede Gesamtänderung der Bundesverfassung (Art. 44 Abs. 3 B-VG);
über eine Teiländerung der Bundesverfassung (also über jedes
Bundesverfassungsgesetz), wenn dies von einem Drittel der Mitglieder des
Nationalrates oder des Bundesrats verlangt wird (Art. 44 Abs. 3 B-VG).
Eine Volksbefragung, deren Ergebnis den Nationalrat nicht bindet, kann von ihm
mit den für ein einfaches Bundesgesetz erforderlichen Anwesenheits- und
Mehrheitsregeln zu Angelegenheiten von grundsätzlicher und
gesamtösterreichischer Bedeutung beschlossen werden, zu denen die Haltung der
österreichischen Bevölkerung erforscht werden soll.
Nach dem Beschluss des Nationalrates wird dieser vom Bundeskanzler an den
Bundesrat weitergeleitet. Ausnahmen bilden Finanzgesetze, die Geschäftsordnung
des Nationalrates und der Beschluss über seine Selbstauflösung, die dieser ohne den
Bundesrat beschließt.
Der Bundesrat hat in den meisten Fällen nur die Möglichkeit eines aufschiebenden
Vetos gegenüber den Beschlüssen des Nationalrates. Ein absolutes Veto kommt
ihm nur bei Beschlüssen zu, die seine eigenen Kompetenzen oder jene der Länder
betreffen. Bei einem aufschiebenden Veto des Bundesrates kann der Nationalrat
einen Beharrungsbeschluss fällen, mit dem er den Einspruch des Bundesrates
überwindet. Nimmt der Bundesrat zu einem Nationalratsbeschluss nicht binnen acht
Wochen Stellung, gilt dieser als vom Bundesrat durch Stillschweigen genehmigt.
Beurkundung durch den Bundespräsidenten
Schließlich wird das verfassungsmäßige Zustandekommen des Gesetzesbeschlusses
vom Bundespräsidenten beurkundet und vom Bundeskanzler gegengezeichnet. Wie
weit der Begriff Verfassungsmäßigkeit hier vom Bundespräsidenten auszulegen ist,
wird in der Verfassung nicht bestimmt. Die Bundespräsidenten beschränkten sich
bisher auf die formale Kontrolle des Gesetzgebungsverfahrens und allenfalls
offensichtliche Verfassungswidrigkeiten. Zur detaillierten Prüfung der inhaltlichen
Verfassungsmäßigkeit der Gesetze ist der Verfassungsgerichtshof berufen; er kann
erst tätig werden, wenn ein Gesetz kundgemacht wurde und in Kraft getreten ist.
Der Bundeskanzler hat das beurkundete Gesetz unverzüglich im Bundesgesetzblatt
kundzumachen. Am Tag nach dem (auf der Titelseite des Gesetzblattes
ausgewiesenen) Kundmachungsdatum erwächst es in Rechtskraft, wenn im Gesetz
selbst kein anderer Termin für das In-Kraft-Treten angeführt ist.
Kontrollrechte gegenüber der Verwaltung
Dem Nationalrat stehen folgende Kontrollrechte gegenüber der Verwaltung zu:
Dem Nationalrat steht ein Interpellationsrecht (= Fragerecht) gegenüber der
Bundesregierung – in Form von schriftlichen, mündlichen und dringlichen
Anfragen – zu.
Der Nationalrat kann in Entschließungen seinen Wünschen über die Ausübung der
Vollziehung Ausdruck verleihen (Art 52 Abs 1 B-VG). Diese Entschließungen sind
rechtlich nicht verbindlich, haben aber dennoch eine gewisse politische Kraft.
Auch die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen (Art 53 B-VG) ist eine
Möglichkeit der politischen Kontrolle gegenüber der Exekutive.
Der Nationalrat kann die Mitglieder der Bundesregierung wegen
Gesetzesüberschreitungen und strafrechtlich verfolgbarer Handlungen mit einer
Anklage vor dem Verfassungsgerichtshof rechtlich haftbar machen (Art 76 B-VG
iVm Art 142 B-VG).
Der Nationalrat hat auch die Kompetenz einem einzelnen Mitglied oder der
gesamten Bundesregierung das Misstrauen auszusprechen (Art 74 B-VG). Der
Bundespräsident hat das betreffende Mitglied oder die Gesamtregierung daraufhin
sofort ihres Amtes zu entheben.
Im Übrigen übt der Nationalrat seine Kontrollrechte noch durch den Rechnungshof,
die Volksanwaltschaft und die Bundesheer-Beschwerdekommission aus.