Nach der Rückeroberung Tikrits gibt es nun eine neue Front im Irak im
Kampf gegen die Miliz "Islamischer Staat": die Wüstenprovinz Anbar.
Allein in den vergangenen zwei Tagen flohen 90.000 Menschen aus der
Region. Sie campieren nun vor Bagdad, denn hinein in die Stadt dürfen sie
nicht.
Zehntausende Flüchtlinge müssen unter freiem Himmel vor den Toren der Stadt
campieren. Die irakischen Behörden begründen die Aussperrung der eigenen
Landsleute mit Sicherheitsvorkehrungen. Es bestehe die Gefahr, dass sich IS-
Kämpfer unter die Flüchtlinge mischen. So könnte die Terrormiliz in die
Hauptstadt einsickern, ließe man den Menschenstrom ungehindert in die Stadt.
90.000 Flüchtlinge in zwei Tagen
Und dieser Strom ist gewaltig, wie Lise Grande vom UN-Büro für
Nothilfekoordination im Irak feststellt: "In den vergangenen zwei Tagen sind
90.000 Menschen aus der Provinz Anbar geflohen. Das sind sehr viele Leute in
sehr kurzer Zeit. Allein nach Bagdad sind 30.000 Menschen gekommen."
In ihrer Heimat hatten sie Angst um ihr Leben. Nicht das erste Mal.
Die Wüstenprovinz Anbar, die hauptsächlich von Sunniten bewohnt wird, ist die
flächenmäßig größte des Irak und grenzt in Teilen an die vom IS besetzten Gebiete
Syriens. Im Januar 2014 hatten die IS-Kämpfer in Ramadi und im weiter östlich
gelegenen Falludscha erstmals medienwirksam im Irak den Gottesstaat ausgerufen.
Als die Islamisten die Region damals überrannten, war die irakische Verteidigung
weitgehend zusammengebrochen.
Ein neuerlicher Exodus der Zivilbevölkerung
Mit Hilfe der Luftangriffe der US-geführten Koalition sowie schiitischer Milizen
eroberte die Armee jedoch große Teile der Anbar-Provinz zurück. Nach der
erfolgreichen Eroberung von Tikrit zu Monatsbeginn wollte sie die nächste
Offensive gegen die verbliebenen Stellungen des IS in Anbar starten.
Doch die Dschihadisten scheinen ihrerseits die Initiative ergriffen zu haben. Sie
vertrieben die Regierungstruppen aus einem Teil der Dörfer um Ramadi und
eroberten auch die Provinzhauptstadt selbst. Die Folge: ein neuerlicher Exodus der
Zivilbevölkerung.
Versorgung nur für ein paar Tage
Es sei ein Drama, so die Hilfsorganisationen, die zu den Flüchtlingen vorzudringen
versuchen. Sie haben begonnen, die Menschen mit Trinkwasser, Zelten und Essen
zu versorgen. Lise Grande berichtet: "Wir geben den Leuten sogenannte Nothilfe-
Kits: ein Paket mit zwölf Liter Wasser, Nahrung für mehrere Tage und
Hygieneartikel. Wir haben jetzt so viele Kits verteilt, dass 85.000 Menschen damit
ein paar Tage versorgt sind."
Doch schon jetzt warnt die UN-Nothilfekoordinatorin davor, dass humanitäre
Hilfsoperationen im Irak unterfinanziert seien. Über einen längeren Zeitraum
reichten die Mittel nicht. Und außerdem machten sich die internationalen Helfer
große Sorgen um die Sicherheit der Menschen. Ungeschützt vor den Toren
Bagdads könnte der Menschenstrom Ziel der nächsten IS-Angriffe werden.
(Quelle und gesamter Artikel: http://www.tagesschau.de/ausland/irak-669.html)