Masha Gessen schreibt über Wladimir Putins offizielle Eltern, die beide den
2.Weltkrieg und die Belagerung Leningrads (1941 - 1944) erlebt - und wie durch eine
Wunder - überlebt hatten, folgendes:
“Seine Eltern, Maria und Wladimir Putin, hatten die Belagerung der Stadt überlebt.
Vater Wladimir war zu Beginn des sowjetisch-deutschen Krieges zur Armee
gegangen und in einer Schlacht unweit von Leningrad schwer verwundet worden. Er
wurde in ein Krankenhaus innerhalb der Belagerungszone gebracht, wo ihn Maria
fand. Nach mehreren Monaten in der Klinik blieb er schwer-behindert: Beide Beine
waren verkrüppelt und bereiteten ihm den Rest seines Lebens große Schmerzen.
Vater Putin wurde aus der Armee entlassen und kehrte mit Maria nach Hause
zurück. Ihr erster Sohn, der damals zwischen acht und zehn Jahre alt gewesen sein
muss, lebte in einem der Kinderheime, die von der Stadt eingerichet worden waren,
in der Hoffnung, dass man sich in diesen Institutionen besser um die Kinder
kümmern würde, als verzweifelte und hungernde Eltern es vermochten. Der Junge
starb im Heim. Maria war selbst dem Tode nahe: Als die Belagerung aufgehoben
wurde, hatte sie nicht mehr die Kraft, allein zu gehen.
Das waren die Eltern des zukünftigen Präsidenten: ein behinderter Mann und eine
halb verhungerte Frau, die ihre beiden Kinder verloren hatte (ein zweiter Sohn war
vor dem Krieg noch als kleines Kind verstorben). Nach sowjetischen Maßstäben der
Nachkriegszeit hatten die Putins aber sogar noch Glück, denn wenigstens hatten sie
einander. Nach dem Krieg gab es beinahe doppelt so viele Frauen im gebärfähigen
Alter wie Männer. Auch ohne Statistiken zu bemühen - der Krieg hatte fast alle
Familien in eine Tragödie gestürzt, er hatte Männer und Frauen getrennt, Häuser
zerstört und Millionen obdachlos gemacht. Die Putins hatten nicht nur den Krieg,
sondern auch die Belagerung überlebt, waren noch mit ihrem Partner zusammen
und hatten ein Zuhause - es grenzte an ein Wunder.
Die Geburt des jüngeren Wladimir Putin war ein weiteres Wunder, das so
unwahrscheinlich ist, dass sich hartnäckig das Gerücht hält, er sei adoptiert worden.
Am Vorabend von Putins ersten Präsidentschaftswahlen meldete sich eine Frau zu
Wort, die behauptete, sie habe ihn im Alter von neun Jahren zur Adoption
freigegeben. Man ging der Geschichte nach, mehrere Artikel und zwei Bücher
folgten, und sogar Natalija Geworkjan war geneigt, die Behauptung zu glauben: Sie
fand seine Eltern auffällig altersschwach, und die Tatsache, dass das Biografenteam
niemanden fand, der sich an den Jungen erinnerte, bevor er das Schulalter erreicht
hatte, verstärkte ihren Verdacht.” (Masha Gessen, “Der Mann ohne Gesicht”, S.60ff.)