Die linke "Bir Gün" kritisiert, dass Ministerpräsident Ahmet Davutoglu nach der
Auszählung der ersten Stimmen am Sonntagabend "Elhamdülillah" - auf deutsch "Gott
ist groß" auf dem Kurznachrichtendienst Twitter geschrieben hatte. Dies zeige das
wahre Wesen der Partei, kommentiert die "Bir Gün". Denn die AKP habe die Sprache
in den letzten Jahren von Begriffen wie Demokratie und Menschenrechten befreit.
"Der Dieb hat keine Schuld", schreibt das Blatt.
Die regierungskritische Tageszeitung "Sözcü" kommentiert: "Der Terror hat
zugenommen, die Währung hat zugenommen, die Stimmen haben zugenommen. Das
Sultanat geht weiter."
Die regierungsfeindliche "Todays Zaman" warnt vor einer weiteren Autokratisierung
der Türkei: "Dieser Trend dürfte sich fortsetzen", schreibt das Blatt, und kritisiert,
dass der EU-Fortschrittsbericht nicht vor den Wahlen veröffentlicht worden ist. Das
"europäische Ticket" sei eines der wirkungsvollsten Tickets für türkische autoritäre
Politiker. "Denn sie wissen, dass die EU nichts macht."
"Der Spiegel" (Hamburg)
Kommentator Hasnain Kazim macht Angela Merkel zur Wahlhelferin für Erdogans
AKP, "indem sie in die Türkei reiste und Erdogan und Davutoglu eine Milliarden-
summe versprach und den Türken Visafreiheit in Aussicht stellte, wenn die nur, bitte,
bitte, die Tür schlössen und möglichst wenige Flüchtlinge nach Europa gelangen
ließen."
Tages-Anzeiger (Zürich)
"Die AKP hat die verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit verfehlt. Doch Erdogans
Allmachtsfantasien werden weiterhin blühen. Sie lähmen das Land und erschrecken
die EU. Die meisten Flüchtlinge brechen in der Türkei auf in Richtung Westeuropa. Die
EU ist auf die Hilfe der Führung in Ankara angewiesen, um das Migrationsdrama auf
menschlich vertretbare Weise zu bewältigen. Deshalb wird Erdogan von Brüssel und
Berlin mit Samthandschuhen angefasst und die türkische Opposition weitgehend
ignoriert. Diese Strategie wird aber längerfristig keinen Erfolg zeitigen. Die EU darf
nicht Autokraten belohnen, sondern Demokraten."
Neue Zürcher Zeitung
"Erdogans Kalkül - sich und seine Partei als einzige Garanten von Stabilität in
unruhigen Zeiten zu empfehlen - ging also auf. (...) Wenn man davon ausgeht, dass es
bei der Abstimmung mit rechten Dingen zugegangen ist, so wünscht sich eine
Mehrheit der Türken eben doch klare Verhältnisse unter Erdogans AKP. Vielleicht aus
Mangel an Alternativen angesichts einer zerstrittenen Opposition; vielleicht aus
tatsächlich empfundener Angst über eine Türkei, die aus den Fugen zu geraten
scheint, die von Terroranschlägen heimgesucht wird, wieder Krieg mit der PKK führt,
mehr als zwei Millionen Flüchtlinge beherbergt und in einer der aufgewühltesten
Regionen der Welt um ihre Stellung ringt."
Guardian (London)
"Präsident Erdogan hat seine Mehrheit zurück, aber die Türkei hat auf dem Weg dahin
Schaden genommen. Ihre unabhängigen Institutionen wurden geschwächt, ihre ver-
fassungsrechtlichen Regeln wurden missachtet, die Beziehung zwischen ethnischen
Türken und Kurden hat sich verschlechtert, und die Türkei steckt wieder in einem
Krieg, von dem sie dachte, er sei vorbei. Es ist typisch für ihn, dass er nicht einen
Moment lang die zeremonielle Rolle oberhalb der Politik eingenommen hat, die die
Verfassung für ihn vorsieht, seit er das Präsidentenamt übernommen hat. Er wird
weiterhin versuchen, von ihm gewollte Veränderungen durchzusetzen, und wenn er es
nicht schafft, wird er so tun, als seien sie schon geschehen. Traurigerweise bedeutet
diese Wahl vermutlich keine Fahrt in ruhigere Gewässer für die Türkei."
Nepszabadsag (Budapest)
"Man kann das Volk zwar nicht abwählen, dafür lässt man aber in der Türkei so oft
wählen, bis es ein Ergebnis gibt, das der Führung gefällt. Den Präsidenten Recep
Tayyip Erdogan, der seit 2002 das Land führt, hatten die Wähler im Juni damit
überrascht, dass sie seiner Partei keine Ermächtigung erteilten, allein die Regierung
zu bilden. Das konnte der vom früheren Wirtschaftsreformer zum selbstgefälligen
Führer gewandelte Erdogan nicht hinnehmen."
El Mundo (Madrid)
"Als NATO-Mitglied und Alliierter der internationalen Koalition gegen den Islamischen
Staat (IS) spielt die Türkei für die europäische Sicherheit und den Frieden im Nahen
Osten eine Schlüsselrolle. Aber wegen des immer autoritäreren Politikstils gegen
Justiz, Opposition, freie Presse und Zivilgesellschaft ist dieser Ritterschlag für den
Staatspräsidenten eine Bedrohung für die türkische Demokratie. Der Wahlsieg könnte
die Beziehungen der Türkei zum Westen, der Ankara mangelnde Entschlossenheit bei
der Bekämpfung der Expansion des IS im Irak und Syrien vorwirft, erschweren (...) Die
EU und die USA müssen von Erdogan die Erfüllung all seiner internationalen Ver-
pflichtungen fordern, damit seine regionalen Ambitionen den Kampf gegen den
islamistischen Terror nicht schwächen."
Politiken
"Nach der Wahl ist es entscheidend, dass die neue Führung der Türkei, weiter mit
Präsident Erdogan an der Spitze, klar Partei für die Demokratie ergreift, die sie an die
Macht gebracht hat. Nur mit diesem Antrieb und mit der Stärkung der Verbindungen
zu der EU kann Erdogan das mächtige Potenzial seines Landes entfalten. Ein
Beschneiden der Demokratie und eine Diskriminierung seiner Kritiker wird die Türkei
nur schwächen. Die Wahlsieger haben eine besondere Verantwortung dafür, es ganz
deutlich zu machen, dass die Türkei auf der demokratischen, nicht der autoritären
Seite der Grenze zuhause ist."
Quelle: http://diepresse.com/home/4856797/Pressestimmen_Sieg-der-Angst?gal=4856797&index=
11&direct=4855949&_vl_backlink=/home/politik/aussenpolitik/4855949/index.do&popup=