In Venezuela hat eine Wahrheitskommission ihre Arbeit aufgenommen, um
Ursachen und Konsequenzen der gewalttätigen Proteste der vergangenen
Monate zu untersuchen.
Die "Kommission für Wahrheit, Gerechtigkeit, Frieden und öffentliche Ord-
nung" war auf Initiative von Präsident Nicolás Maduro von der verfassung-
gebenden Versammlung am 8. August einberufen worden.
Dem Gremium gehören 14 Mitglieder an, die – wie das Nachrichtenportal
aporrea.org berichtet – verschiedene gesellschaftliche Gruppen repräsen-
tieren. Elf Mitglieder der Wahrheitskommission gehören zum chavistischen
Lager, drei gehörenParteien der Opposition an.
Nach der entsprechenden Regelung, die von der verfassunggebende Versam-
mlung erlassen worden war, setzt sich das Gremium aus drei ihrer Mitglieder
zusammen und drei weitere kommen aus Organisationen von Opfern politi-
scher Gewalt zwischen 1999 und 2017. Eine Person vertritt venezolanische
Menschenrechtsorganisationen, zwei hätten "entsprechende berufliche,
ethische oder persönliche Voraussetzungen". Weiterhin gehören der Kommi-
ssion der Generalstaatsanwalt, der Menschenrechtsbeauftragte der Regierung
sowie drei Mitglieder an, die von der Nationalversammlung nominiert wurden.
Die Wahrheitskommission wird zunächst zwei Monate tagen und hat am
16.8.2017 ihre Arbeit aufgenommen.
Bei der ersten Sitzung wurden laut Medienberichten Erklärungen, Fotos und
Videos führender Oppositionspolitiker gesichtet, die meist in den Sozialen
Netzwerken verbreitet wurden und mit denen zu Protesten aufgerufen und
diese organisiert wurden. Die Kommission werde aufklären, inwieweit
bestimmte Politiker "geistige Urheber" von Gewaltaktionen gewesen seien
oder direkt dazu aufgefodert hätten. Konkret genannt wurde Parlamentsvize-
präsident Freddy Guevara von der rechtspopulistischen Partei Voluntad
Popular.
Auch gegen Parlamentspräsident Julio Borges solle ermittelt werden. Ihm wird
vorgeworfen, eine Wirtschafts- und Finanzblockade gegen das Land gefördert
zu haben. Damit solle der Kauf von Nahrungsmitteln und Medikamenten sowie
ausländische Investitionen beeinträchtigt werden, um "Gewalt zu schüren und
die Regierung zu destabilsiieren".
Borges hatte im Mai einen offenen Brief an Goldman Sachs-Chef Lloyd
Blankfein gerichtet, in dem er ihm vorwarf, "die Diktatur und die Repression"
finanziell zu unterstützen. Die US-Investmentbank Goldman Sachs hatte
Schuldscheine des staatlichen Ölkonzerns PDVSA zum Preis von 865 Millionen
Dollar erworben, deren Nennwert 2,8 Milliarden Dollar beträgt. Das Parlament
werde diese Schulden nicht anerkennen und jeder künftigen Regierung
empfehlen, sie bei Fälligkeit im Jahr 2022 nicht zu bedienen, drohte Borges.
Zuvor hatte er bereits die Deutsche Bank davor "gewarnt", mit der Zentralbank
des südamerikanischen Landes Goldgeschäfte einzugehen.
Die Fraktion des Oppositionsbündnisses Tisch der Demokratischen Einheit
(MUD), das im Parla-ment die Mehrheit stellt, habe "vom ersten Tag unserer
parlamentarischen Arbeit" in großem Umfang "Briefe an Botschaften, Regier-
ungen und Finanzinstitutionen" verschickt, um internationale Finanz- und
Wirtschaftsvereinbarungen der sozialistischen Regierung zu verhindern,
informierte der Parlamentspräsident bei diesem Anlass.
Wie andere führende Parteien des MUD lehnte auch die Abgeordnete der
rechtspopulistischen Partei Primero Justicia, Marialbert Barrios, das Gremium
ab. In einem Kommentar beim Kurznachrichtendienst Twitter verglich Barrios
die Wahrheitskommission mit dem Wohlfahrtsausschuss, der nach der
Französischen Revolution 1793 gegründet worden war und maßgebliches
Instrument zur Machtsicherung der Jakobiner wurde. Man sei in Venezuela
Zeuge der "Einführung der Justiz als Mittel des Terrors", so die Abgeordnete,
deren Partei die Proteste massiv unterstützt hat.
Am Dienstag hatte der Verfassungskonvent auf Ersuchen von Präsident
Maduro die Justizbehörden des Landes aufgeordert, die Fälle inhaftierter
Demonstranten von Militärgerichten wieder an zivile Gerichte zu übergeben.
Dies gab die Vorsitzende des Konvents, Delcy Rodríguez, bekannt. Im Mai
waren im venezolanischen Bundesstaat Carabobo erste Anklagen im
Zusammenhang mit den Unruhen, die seit Anfang April das Karibikland in
Atem halten, vor Militärgerichtenverhandelt worden. Rodríguez erklärte, diese
im Land sehr umstrittene Maßnahme sei wegen der "Untätigkeit der
Generalstaatsanwaltschaft notwendig gewesen." Deren Chefin, Luisa Ortega
Díaz, war in einer der ersten Handlungen der Versammlung am 5. August
entlassen worden.
Die venezolanische Nichtregierungsorganisation Foro Penal schätzt, dass in
den gut vier Monaten der Oppositionsproteste mindestens 120 Demonstranten
vor Militärgerichte gebracht wurden. Bei den Protesten waren rund 130
Menschen getötet worden.
Quelle: https://amerika21.de/2017/08/183009/venezuela-wahrheitskommission