So erzählte Beresowski Masha Gessen auf die Frage, wie er Putin kennen gelernt
habe, folgendes:
„Beresowski behauptet, Putin sei sein Protegé gewesen. Er berichtete mir in seiner
Villa in der Nähe von London, er habe Putin 1990 kennengelernt, als er seine
geschäftlichen Aktivitäten auf Leningrad auszudehnen gedachte.
Beresowski war ein Akademiker, der sein Geld als Autohändler machte. Sein
Unternehmen verkaufte Fahrzeuge der Marke Lada – wie die Russen ein schäbiges
Auto auf Basis eines längst veralteten Fiats nannten. Daneben importierte er
gebrauchte europäische Wagen und baute Werkstätten, in denen die von ihm
verkauften Autos repariert werden konnten.
Putin, damals noch Stellvertreter des Stadtratsvorsitzenden Anatoli Sobtschak,
hatte Beresowski dabei geholfen, eine Werkstatt in Leningrad zu eröffnen, und ein
Bestechungsgeld abgelehnt – was bewirkte, dass sich Beresowski an ihn erinnterte.
„Er war der erste Bürokrat, der keine Schmiergelder annahm“, versicherte mir
Beresowski. „Im Ernst. Das machte großen Eindruck auf mich.“
Beresowski machte es sich zur Gewohnheit, in Putins Büro „vorbeizuschauen“,
wenn er in Sankt Petersburg war. Bedenkt man Beresowskis hektisches Wesen,
dann schaute der Oligarch wahrscheinlich wirklich nur kurz herein, quasselte
aufgeregt und stürmte wieder hinaus – möglicherweise sogar, ohne viel von den
Reaktionen seines Gastgebers mitzubekommen. Als ich mit Beresowski sprach,
konnte er sich kaum an eine Äußerung Putins erinnern. „Ich betrachtete ihn jedoch
als eine Art Verbündeten“, sagte er. Es beeindruckte ihn auch, dass Putin, der zum
stellvertretenden Bürgermeister von Sankt Petersburg auftstieg, als Sobtschak
Bürgermeister wurde, nach dessen gescheiterter Wiederwahl ein Amt unter dem
neuen Bürgermeister ausschlug.
Als Putin 1996 nach Moskau zog, um eine Verwaltungsaufgabe im Kreml zu
übernehmen, sahen sich die beiden häufiger, meist in dem exklusiven Club, den
Beresowski im Stadtzentrum unterhielt.
Beresowski hatte seine Verbindungen genutzt, um an den zwei Enden eines
Häuserblocks Verkehrsschilder mit der Aufschrift „Durchfahrt verboten“
aufstellen zu lassen. Damit kennzeichnete er einen bestimmten Abschnitt einer
Anwohner-straße de facto als eigenes Territorium. (Die Bewohner mehrerer
Apartmenthäuser auf der anderen Straßenseite konnten nun nicht mehr vor ihre
Häuser fahren, ohne ein Bußgeld zu riskieren)
Anfang 1999 war Beresowski jedoch in Bedrängnis geraten – wie der Rest der
„Familie“ auch, oder sogar noch mehr: Er war der Einzige der Clique, der an seiner
gesellschaftlichen Stellung in Moskau hing.
Verstrickt in einen ebenso verzweifelten wie vergeblichen Machtkampf mit dem
ehemaligen Ministerpräsidenten Jewgeni Primakow, der die Anti-Jelzin-Kampagne
führte, war Beresowski in gewisser Weise zum Paria geworden.
„Es war am Geburtstag meiner Frau Lena“, erzählte er mir. „Wir beschlossen, nur
wenige Leute einzuladen, weil wir nicht wollten, dass jemand seine Beziehungen
zu Primakow strapazieren musste. Also kamen nur unsere Freunde. Dann teilte mir
mein Sicherheitsdienst mit: „Boris Abramowitsch, Wladimir Putin wird in etwas
zehn Minuten eintreffen.“ Und ich sagte: „Was ist los?“ Und er sagte: „Er will
Lena zum Geburtstag gratulieren.“ Tatsächlich erschien er zehn Minuten später mit
einem Blumenstrauß. Ich sagte: „Wolodja, warum machen Sie das? Sie haben doch
schon genug Probleme. Wollen Sie denn eine große Schau daraus machen?“ Er
entgegnete: „Ja, ich will eine große Schau daraus machen.“
Und damit zementierte er unsere Beziehung. Es begann damit, dass er kein
Schmiergeld annahm. Dann weigerte er sich, Sobtschak im Stich zu lassen. Und
schließlich dieser Besuch, der mich davon überzeugte, dass er ein guter, ehrlicher
Mensch war - ein Mann vom KGB, ja, aber trotzdem ein Mensch.“ Diese
Eindrücke gingen Beresowski nicht mehr aus dem Kopf.“