Dembo erläutert die Gründe für seine Flucht gegenüber Mathilde
Schwabeneder folgendermaßen:
„Angst“, sagt Dembo wieder, „es gibt so viel Angst in Gambia. Selbst in den
Familien traut sich keiner offen über Politik zu sprechen. Du weißt nie, ob du
nicht gleich verhaftet wirst.“
Der Schock der Flucht sitzt ihm noch tief in den Knochen. Seinem Traum, an
der Universität zu studieren, war er schon sehr nahe gewesen. Er war nach
Banjul übersiedelt und dort in die Schule gegangen. Weil das Geld der Familie
nicht reichte, verdiente er sich bei einem Tischler etwas dazu. „Das war ganz
normal und mir ging es gut.“
„Das Schlimmste“, sagt Dembo, der nur die Üppigkeit der Tropen kannte, „war
die Flucht durch die Sahara“. Er wusste, das Ziel war Libyen und der Weg
dorthin führte durch die Wüste. Quer durch Mali und Niger.
„Die Tage waren unerträglich heiß, die Nächte eiskalt“, sagt er, verkrampft die
Hände ineinander und zieht die Schulter hoch. „Eine Flasche Wasser musste
für eine ganze Woche reichen. Wir sind von den Schleppern wie Tiere
behandelt worden. Sie haben uns absichtlich nichts gegeben. Es war ihnen
vollkommen gleichgültig, ob wir die Fahrt überleben oder nicht.“ 
Der quälende Durst verstärkte noch zusätzlich seine peinigende Angst: die
Angst vor der menschenleeren Weite; die Angst vor den schwer bewaffneten
Männern; die Angst, auf dem mit Flüchtlingen vollgepferchten Pick-up zu
sterben. Nicht alle haben die Wüstenfahrt im Konvoi überlebt. Mit Schaudern
erinnert er sich daran, dass leblose Körper einfach in den Sand geworfen
wurden. Schon am Beginn der Wüstenfahrt hatte einer ihrer Begleiter sie laut
lachend auf die Knochen entlang der Piste aufmerksam gemacht: „Ich sag‘
euch nicht, ob das Menschen oder Tiere sind“, hatte er den jungen Männern
auf der Ladefläche wild gestikulierend zugeschrien.
In Libyen angekommen, begann Dembo, als Müllsammler zu arbeiten. Er
brauchte Geld für das Allernötigste. Von der Oasenstadt Sabha schlug er sich
später nach Tripolis durch. Seine Hoffnung, dort bleiben zu können, erwies
sich als Illusion. Auch ihm hatte niemand von der überall gegenwärtigen
Gewalt erzählt. Dembo fühlte sich verraten und wollte nur weg.
Letztlich landete er auf einem der schäbigen Kutter, die Richtung Lampedusa
auslaufen. „Die Überfahrt war die Hölle“, sagt er zitternd. Da er zu wenig Geld
hatte, musst er gemeinsam mit anderen Flüchtlingen aus dem Sudan unter
Deck in den kleinen Maschinenraum kriechen. Dort hockten sie, tagelang auf
dem Mittelmeer treibend, eingesperrt ohne Essen und Trinken. Bis ihr Boot
endlich aufgefunden und er und seine Leidensgenossen an Land gebracht
wurden.
Die Küstenwache brachte sie in den Hafen von Salerno. Von dort kam Dembo
nach Lamezia Terme. „Ich bin glücklich, dass ich hier bin“, sagt er. Doch seine
Augen sind so tieftraurig, dass es wie eine Selbstbeschwörung klingt.“ 
Quelle:  Mathilde Schwabeneder, „Auf der Flucht“, 2015 by Verlag Kremayr  &
                    Scheriau GmbH & Co.KG, Wien, S.88 ff.