Privatisierung der Flüchtlingsbetreuung mit European
Homecare
Die Firma European Homecare (EHC) bietet Betreuung in deutschen und seit
einem halben Jahr auch Österreichischen Flüchtlingslagern an. Vom Innen-
ministerium werden Leistungen von NGOs gekauft, von denen kritiklose
Aufgabenerfüllung erwartet werden kann.
Die Versorgung von AsylwerberInnen ist in der Genfer Flüchtlingskonvention als
Aufgabe des Staates klar geregelt. In Österreich ist damit das Innenministerium
verantwortlich. Die Grundversorgung für AsylwerberInnen war in Österreich
schon in der Vergangenheit nur rund einem Drittel, im letzten Jahr nur noch einem
Fünftel der Schutzsuchenden zugänglich, nicht zuletzt durch die rechtswidrige
Richtlinie, die Staatsbürger aus bestimmten Staaten von vornherein ausschloss.
spätestens nach dem zweiten Urteil des Obersten Gerichtshofs im September 2003
war klargestellt, dass der Bund für die Versorgung aufzukommen hat.
Statt diesen Gerichtsbeschlusses umzusetzen, änderte Minister Strasser die
gesetzlichen Grundlagen so, dass wiederum viele AsylwerberInnen auf die Strasse
gesetzt werden konnten. Im Dezember vereinbarte Strasser mit den karitativen
Organisationen eine Winterlösung für AsylwerberInnen. Der "Weihnachtsfrieden",
der die Unterbringung aller AsylwerberInnen bis Ende April sicherstellen sollte,
beschert nun EHC ein völlig überfülltes Lager in Traiskirchen, aber auch ent-
sprechende Einnahmen. Wer sich nach Traiskirchen begibt und den Ausführungen
des Leiters von European Homecare, Eckhart Wilcke, lauscht, dem offenbart sich
der triste Alltag eines Flüchtlingslagers, das nach betriebswirtschaftlichen
Kriterien geführt wird.
Die Firma European Homecare
"European Homecare GmbH" ist ein seit 1989 bestehendes Unternehmen mit rund
220 MitarbeiterInnen und versorgt in Deutschland im staatlichen Auftrag rund
4000 Flüchtlinge in 20 Heimen, vorwiegend in ehemaligen Kasernen im Osten
Deutschlands.
In Österreich erregte EHC erstmals durch die Rückkehrberatung in Traiskirchen
Aufsehen, mit der sie Mitte Oktober 2002 ohne öffentliche Ausschreibung vom
Innenministerium beauftragt wurde. Ab 1.Juli 2003 war European Homecare für
den Betrieb der vier Bundesbetreuungseinrichtungen in Traiskirchen, Thalham,
Bad Kreuzen und Reichenau zuständig.
Die deutsche Firma hatte bis dahin keine Erfahrungen mit dieser sensiblen Materie
und betrieb sie anfangs sehr unprofessionell.
Obwohl JournalistInnen nicht mit Flüchtlingen sprechen dürfen und ständig unter
Begleitung eines Innenministeriumsbeamten sind, sagt eine Frau mit einem kleinen
Kind an der Hand in einem unbeobachteten Moment: "Lager Katastrophe, Essen
Scheisse".
Damit konfrontiert, miemt Wilcke Unverständnis: Das Essen sei völlig in
Ordnung, denn er esse das auch täglich. Trotzdem sehen wir viele Menschen mit
Lebensmitteln ins Lager kommen, die sie sich wohl nicht zum Spass von 40 Euro
Taschengeld kaufen.
Das Fleisch wird von der Firma Apetito aus Deutschland eingeflogen und hier
aufgewärmt. Der Zufall will es, dass die Firma dem Bruder des Geschäftsführers
Korte gehört. In Köln haben sich im Herbst 2002 Roma gegen die Zwangsversor-
gung durch Apetito mittels Blockade der Lagerzufahrt gewehrt, bis sie wieder Geld
von der Stadt bekamen, um sich selbst versorgen zu können. In Traiskirchen sind
die Menschen aber auf dieses Essen angewiesen und "es wird ja jeder satt".
Vorteile für das BMI durch eine Privatfirma und abhängigen NGO S
Dem Innenministerium, das als Auftraggeber fungiert, erwachsen neben der
Kostenfrage zahlreiche Vorteile daraus, eine Firma zu beschäftigen. Ein
abhängiges Dienstleistungsunternehmen stellt keine lästigen menschenrechtlichen
Fragen oder plädiert gar für die Einhaltung von Mindeststandards. Eine Privatfirma
lässt auch sicherlich keine öffentliche Kritik an den katastrophalen Zuständen im
Lager verlauten. Sollte die Situation eskalieren, wie im Sommer 2003, als es zu
einer Massenschlägerei gekommen war, die ein junger Tschetschene mit dem
Leben bezahlt hat, oder wie bei den kürzlich verlauteten Vorwürfen der Verge-
waltigung sowie Folter- und Misshandlung, ist es für Strasser praktisch, sich auf
das Versagen der Privatfirma ausreden können. Die Verantwortung wird
abgeschoben.
Angst und Einschüchterung
Dieselbe Strategie bietet sich auch für EHC an, wenn es um die Vergewaltigung
einer Asylwerberin durch einen Mitarbeiter des von ihr engagierten Wachdienst
geht. Wilcke behauptet im Interview, dass die Ermittlungen gegen den angeblichen
Täter eingestellt seien, während dieser weiterhin in Untersuchungshaft ist und von
einer Einstellung der Ermittlungen nicht die Rede sein kann. Mediales Herunter-
spielen und Anlassverbesserungen ändern nichts an den strukturell angelegten und
fast zwangläufig skandalträchtige Vorfälle produzierenden Zuständen.
Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich sieht sich
aufgrund der Foltervorwürfe gezwungen, Traiskirchen "als ein Lager zu
qualifizieren, in dem Angst und Einschüchterung herrschen" - keine gute
Reputation für EHC.
von Irene Messinger, erschienen unter dem Titel "Outsourcing der
Menschenverwaltung - Privatisierung der Flüchtlingsbetreuung mit European
Homecare" in contextxxi 2-3/2004
Quelle und gesamter Text: http://no-racism.net/print/749/
Anmerkung: Mit 31. Mai 2010 hatte European Homecare das Betreuungs-
verhältnis aufgekündigt, weil die Flüchtlingszahlen stark gesunken waren. Bei
Vertragsabschluss war man von durchschnittlich 1000 Erstaufnahme-
zentrumsinsassen ausgegangen, für die pro Tag und Flüchtling bezahlt wird:
derzeit je 14,58 Euro netto. 2010 befanden sich nur noch knapp über 400 Personen
in Bundesbetreuung in den Erstaufnahmezentren: 291 in Traiskirchen, 90 in
Thalham sowie ein paar Dutzend in den Außenstellen Reichenau und St. Georgen.
Und es besteht auch keine Aussicht auf Aufstockung: Seit Fekter mit Nieder- und
Oberösterreich Abkommen geschlossen hat, dürfen in Traiskirchen höchstens 480,
in Thalham höchstens 120 Flüchtlinge leben. (Irene Brickner/DER STANDARD,
Printausgabe, 7. Juli 2010, http://derstandard.at/1277337443260/Vertragslos-in-Traiskirchen-Firma-
kuendigt-Asylbetreuung)