Tripolis - Die einzige Tochter Gaddafis spricht nicht gerne in der Öffentlichkeit. Nur
zweimal hat die 36-Jährige sich nach den Bombardierungen durch die Nato gezeigt.
Der "New York Times" gab Aischa al-Gaddafi jetzt in einem Interview intime
Einblicke in die Gedankenwelt der Familie des libyschen Diktators. Ihre Mitarbeiter
präsentieren dem Reporter zudem eine 92-seitige illustrierte Biografie. Der Titel:
"Prinzessin des Friedens".In der Biografie erfährt man, dass Aischa al-Gaddafi in
ihrer Jugend den Umgang mit Pistole, Kalaschnikow und Handgranate lernte. "Ich
habe die Revolution im Blut", hatte sie als Studentin an der Al-Fateh-Universität in
Tripolis bekannt. 2004 hielt sie eine flammende Rede am Londoner Hyde Park
Corner, in der sie IRA-Terroristen als Freiheitskämpfer lobte.
Sie setzte sich als Anwältin für Iraks Diktator Saddam Hussein ein und auch für
Muntaser al-Saidi, den Schuhwerfer auf US-Präsident Bush. Als Generalsekretärin
von Libyens größter Wohlfahrtsorganisation Waatassimu ordnete sie die Verleihung
des "Ordens für Mut" an. Begründung: Al-Saidi habe sich gegen die Verletzung der
Menschenrechte eingesetzt.
Mit Gucci-Schuhen gegen die Rebellen
Tatsächlich ist Aischa al-Gaddafi eine gute Kundin in den Designerläden von London
und Wien, Genf und Paris. Während des Interviews mit der "New York Times" trägt
sie enganliegende Jeans und Gucci-Schuhe sowie ein helles Kopftuch, das ihre
langen, blondierten Haare nicht verdeckt. In arabischen Zeitungen galt sie früher als
die "Claudia Schiffer der Wüste". Italienische Skandalreporter dichteten ihr eine
Affäre mit Premierminister Silvio Berlusconi an.
Gerne erinnert sie daran, wie die Vereinten Nationen sie "angefleht" hätten, eine
"Botschafterin des Guten Willens" zu werden. Die Ernennung geschah in
Anerkennung ihrer Verdienste bei der Bekämpfung von Aids und der Besserstellung
von Frauen. Doch jetzt, meint sie, solle sie offenbar am liebsten vor den
Internationalen Gerichtshof zitiert werden.
Auf die Geistesverfassung ihres Vaters angesprochen, sagt sie in dem Interview
lachend, dass ihr diese überhaupt keine Sorgen bereite. "Er ist so stark, wie die
Welt ihn kennt." Ihr Vater sei sich ziemlich sicher, dass die Menschen Libyens ihm
loyal ergeben seien. Unter den Geschwistern hat Aischa den Ruf, Streit zwischen
den sehr verschiedenartigen Brüdern schlichten zu können.
Ihre Familie hoffe noch immer auf eine "Rückkehr in die Normalität", sagt sie. Aber
der Prozess könne beschleunigt werden, wenn die Nato mit ihren Bombardements
aufhöre. Sie und ihre sieben Brüder seien im Dialog und würden Meinungen
austauschen, bevor jemand einen größeren Schritt unternehme. Nachrichten über
den Friedensplan ihrer Brüder habe sie zwar im Fernsehen gesehen. Sie wollte das
aber nicht kommentieren.
Für Barack Obama und dessen Außenministerin Hillary Clinton hat sie nur Spott
übrig. Der US-Präsident habe "bislang nichts erreicht". Eine Frage richtet die
Gaddafi-Tochter über die "New York Times" direkt an die Außenministerin: "Warum
haben Sie das Weiße Haus nicht verlassen, als Sie herausfanden, dass Ihr Mann Sie
betrügt?"
Auf handgeschriebenen Notizen hatte sich Aischa al-Gaddafi auf das Interview
vorbereitet. Ob es denn demokratisch sei, wenn ein Kandidat mit 50 Prozent
gewinnt und ein anderer mit 48 Prozent verliert, fragt sie und zeigt ihr krudes
Verständnis von Mehrheitsverhältnissen. "Nennen Sie das Demokratie? Nur diese
eine Stimme? Was passiert mit den 48 Prozent, die Nein gesagt haben?"
Trotzdem wünscht die Anwältin sich Gespräche mit den US-Amerikanern. "Die Welt
sollte an einem Runden Tisch zusammenkommen", schlug sie vor, "unter der
Schirmherrschaft von Internationalen Organisationen."
Nicht sicher ob Gaddafi auf Unbewaffnete geschossen hat
Einen Dialog mit den libyschen Rebellen schließt sie aus. "Terroristen" und
"Saboteure" seien das, die "nur kämpfen um des Kämpfens Willen". Und ihr Vater
hätte nie auf Unbewaffnete geschossen. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass das
passierte", räumt sie ein, "aber selbst wenn: Das Ausmaß war begrenzt".
Frühere Regierungsmitglieder wie Innenminister Abd al-Fattah Junis wären zwar auf
die Seite der Rebellen gewechselt, aber immer noch in Kontakt mit Gaddafi. "Sie
sagen zu uns, dass sie ihre eigenen Familien hätten, Töchter, Söhne und Ehefrauen,
und dass sie Angst um sie haben", erklärt sie den Meinungswandel. "Es gibt viele
Mitglieder der Regierung, die mit meinem Vater 42 Jahre lang gearbeitet haben und
ihm loyal ergeben waren. Glauben Sie, dass sie einfach so gehen würden?"
Statt der Beschimpfungen von internationale Organisationen und westlichen
Staatschefs, die ihr Bruder Saif al-Islam ausstößt, konzentriert sich Aischa al-
Gaddafi auf das Chaos, das ihrer Meinung nach dem Ende der Ära ihres Vaters in
Libyen ausbrechen würde. Ohne Gaddafi, sagt sie voraus, würden illegale
Immigranten Europa überschwemmen, Islamisten eine Basis an der Mittelmeerküste
errichten und die libyschen Stämme ihre Waffen aufeinander richten. "Haben sie
gesehen, wie sicher Europa war und wie sicher Libyen war, als mein Vater noch da
war?", fragt sie den Reporter.
Sie bringt dabei auch auf ihre Erfahrungen als Rechtsanwältin im Verteidigungsteam
von Saddam Hussein ins Spiel. "Die Opposition im Irak versprach dem Westen, mit
Rosen begrüßt zu werden. Zehn Jahre später empfangen sie die Amerikaner mit
Patronen - und glauben Sie mir, in Libyen wird es noch schlimmer werden."
Mehrmals gefragt, wie ihre Familie an der Macht bleiben könnte, wiederholt die
Gaddafi-Tochter nur: "Wir setzen eine große Hoffnung in Gott."
Vor ein paar Jahren erzählte sie in einem Interview mit dem "Sunday Telegraph"
von den traumatischen Erlebnissen während der Bombardierung von Tripolis im Jahr
1986 durch die US-Luftwaffe. Sie war neun Jahre alt, die Bomben krachten, ihre
Adoptivschwester schrie in Todesangst. Margaret Thatcher und Ronald Reagan
könne sie nie verzeihen, sagte Aischa der britischen Zeitung. Thatcher habe ihre
Kindheit ruiniert. Reagan, so glaubte sie, habe seine gerechte Strafe bereits
erhalten: "Es war Gottes Wille, dass er Alzheimer bekam."
Jetzt, bei den Bombardierungen der Nato, erzählt sie ihren drei Kindern im Bunker
der Gaddafi-Residenz Bab al-Asisija gerne Gute-Nacht-Geschichten. Die Geschichten
handelten vom Leben nach dem Tode. Das wäre in diesen Zeiten besonders
angebracht. "Um sie darauf vorzubereiten", meint sie, "weil man in Zeiten des
Krieges nie weiß, wann die Rakete oder Bombe Dich trifft und Dein Ende gekommen
ist".
Quelle: Spiegel online, 27.04.2011
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,759202,00.html