Gründe für Versagen waren nie Verschlüsselung, sondern selbst gemachter
Datenoverkill und notorische Defizite bei Fremdsprachen, sagt Geheimdienst-
experte James Bamford.
Seit den Massakern in Paris werden von europäischen Politikern und Behörden
abwechselnd Edward Snowden, Verschlüsselung, PlayStations und andere
Kommunikationsmittel für das Gelingen der Anschläge verantwortlich gemacht.
Kaum thematisiert wurde hingegen, dass die für "Gefahrenerkundung" im Vorfeld
zuständigen Geheimdienste erneut völlig ahnungslos waren, obwohl enormer
Kommunikationsaufwand mit den Anschlägen verbunden war. Und wieder waren
die meisten Attentäter den französischen Diensten seit Jahren als notorische
Extremisten bekannt.
Für James Bamford, Journalist und Autor mehrerer Standardwerke über die NSA,
ist dieses Versagen keine Überraschung. "Die Geheimdienste haben in der jünge-
ren Geschichte so gut wie nie einen Terroranschlag verhindern können. Die NSA
hat von 9/11 aus dem Fernsehen erfahren und auch alle anderen Anschläge in den
USA nicht verhindern können", sagte Bamford am Dienstag in Wien zu ORF.at.
Die Gründe dafür seien keineswegs technischer Natur, sondern auf selbst gemach-
ten Datenoverkill, schlechte Koordination sowie Defizite bei Fremdsprachen und
Analyse zurückzuführen.
Auch im Fall Charlie Hebdo waren die Attentäter den Behörden bereits davor als
gewaltbereite Extremisten aufgefallen, die enge Kontakte zur IS-Terrortruppe in
Syrien unterhielten. Dass sie in der Folge dennoch völlig ungehindert morden
konnten, sei keineswegs ein Ausrutscher gewesen, sagt Bamford. Auch den US-
Diensten waren von den Aschlägen auf das World Trade Center 1993, über den
"Unterhosenbomber" bis zu den Attentätern auf den Marathon von Boston 2013
zumindest die Masterminds der Terroristen bereits bekannt gewesen. Dass nach
jedem dieser Anschläge noch mehr und tiefgreifendere Zugriffe gefordert und auch
genehmigt worden seien, habe die Probleme für die Geheimdienste noch ver-
schärft, ist Bamford überzeugt. Die Misserfolge der Fahndung nach den Boston-
Bombern in den USA hatten auch maßgeblich dazu beigetragen, dass die geplante
Vorratsspeicherung von Fluggastdaten im EU-Parlament 2013 noch keine
Mehrheit fand.
Obwohl die russischen Geheimdienste ihre US-Gegenparts schon 2011 davor
gewarnt hatten, dass der ältere der beiden Boston-Bomber Kontakte zu Extre-
misten in Dagestan unterhielt, pendelte der ungeachtet aller Passagierprofile und
"No-Fly-Lists" mehrmals unbehelligt zwischen den USA und Dagestan. Der Grund
für das Versagen dürfte 2013 auf die unterschiedlichen Transkriptionen des
Namens aus dem Kyrillischen gewesen sein. In den englischsprachigen Agentur-
meldungen danach wurden die Brüder "Tsarnaev", im deutschen Sprachraum aber
als "Zarnajew" bekannt.
Der mit der Vorbereitung der Attentate einhergehende Kommunikationsverkehr
war den US-Überwachern ebenso wenig aufgefallen wie nun in Frankreich. "Dabei
handelte es sich bei den Attentaten in Paris um eine organisatorisch aufwendige
und logistisch komplexe Aktion einer relativ großen Tätergruppe, die über mindes-
tens drei Länder verteilt war. Es ist schon ziemlich merkwürdig, dass die Kom-
munikationen von bekannten Terrorverdächtigen niemandem in der Geheim-
dienstwelt aufgefallen sind", sagt Bamford, "ein Mangel an Daten war es nicht,
denn die Daten hatten sie."
Nachdem der "Unterhosenbomber", dessen eigener Vater die US-Botschaft vor
seinem Sohn gewarnt hatte, an seinem eigenen Unvermögen gescheitert war,
wurde nach einem solchen Täterprofil gefahndet.
Bamford über Sprachen und Dienste
"Tatsächlich haben die Dienste nämlich ein Sprachenproblem. Rund um 9/11 gab
es in der NSA nur ein paar Analysten, die Pashtu, Dari oder Urdu sprachen. Dieses
Sprachenproblem existiert schon seit ewig in der gesamten 'Intelligence Commu-
nity'. Ich hatte für den Senatsausschuss zur Kontrolle der Geheimdienste ein Jahr
vor 9/11 ein Programm zur verbesserten Sprachauswertung für die Geheimdienste
vorgeschlagen. Zu meiner Überraschung wurde mein Vorschlag, ein 'Linguist
Reserve Corps' aus ehemaligen Militärs und freiwilligen Zivilisten zu bilden, die
allesamt Muttersprachler sind, in Folge mehr oder weniger angenommen", erzählt
Bamford.
Der Hinweis, dass die NSA einen "Durchbruch in der Verschlüsselung" erzielt
haben musste, war 2012 ebenfalls von Bamford gekommen. Erst vor einem Monat
hatte eine Gruppe namhafter Kryptologen die Natur dieses "Durchbruchs" mit
einiger Sicherheit identifizieren können.
"Weil man nicht einfach fünfzig Muttersprachler in - sagen wir - Lingala anstellen
kann, nur für den Fall, dass im Kongo irgendwann eine Krise ausbricht, war die
Idee dahinter, ein Corps zu bilden, das ad hoc einberufen werden kann. Dieser
Ansatz ist zudem sehr billig, weil die Besoldung für Reservisten ziemlich niedrig
ist. Sehr viele Zielpersonen der Geheimdienste stammen aus mehrsprachigen
Gebieten, ein abgehörtes Gespräch aus Afghanistan kann von Pashtu schnell
einmal zu Urdu oder Dari wechseln. Ein Analyst, der Pashtu an einer Schule in den
USA gelernt hat, versteht ab da nur noch Bahnhof, ein Muttersprachler kann
derselben Konversation hingegen folgen und auch deren Nuancen in den richtigen
Kontext setzen, weil er diese Sprachen nicht zum ersten Mal hört"Auf jeden Fall
wurden meine Vorschläge umgesetzt, wie, kann ich leider nicht beurteilen, denn
mir fehlt die dafür nötige Sicherheitsüberprüfung durch die Dienste", sagte
Bamford sichtlich amüsiert, deshalb wisse er auch nicht, ob seine Kernforderung
nach Muttersprachlern darin verblieben sei. "Sowohl beim CIA-Personal wie in der
NSA herrscht enormes Misstrauen gegenüber Muttersprachlern, gerade wenn sie in
ihrem Herkunftsland auch aufgewachsen sind, weil es sich ja um Spione handeln
könnte. Das ist ziemlicher Schwachsinn, denn auf der Liste der Topspione und
Landesverräter waren das von Robert Hansen angefangen allesamt waschechte
Amerikaner."Angesichts der miserablen Erfolgsbilanz der westlichen Geheim-
dienste wäre es jedoch verfehlt, zu sagen, die Dienste seien "Underachiever", also
Versager, die ihre Ziele nicht erreicht hätten, sagte Bamford: "Die sind mit Vollgas
unterwegs, allerdings in die verkehrte Richtung. Statt sie frühzeitig zu erkennen,
produzieren sie die Gefahren selbst. Die Invasion im Irak 2003 basierte auf
miserabler Nachrichtenaufklärung über angebliche Massenvernichtungswaffen,
nichts davon wurde ordnungsgemäß überprüft, weil man sich auf Behauptungen
aus unzuverlässigen Quellen verließ."
"Auf einer so prekären Grundlage wurde das Regime Saddam Husseins gestürzt,
von der Zerschlagung der irakischen Armee angefangen hat dann eine blöde Idee
die nächste gejagt. In dem daraus resultierenden Machtvakuum entfaltete sich dann
der IS, der zuletzt für die Anschläge in Paris verantwortlich war. Was also mit
dilettantischer Nachrichtenaufklärung begonnen und Krieg zur Folge hatte, resul-
tiert seitdem in Terroranschlägen gegen Zivilisten. Anstatt diese Bedrohungen
abzuwehren, hat die NSA sie in diesem Fall selber mitproduziert."
William Binney, Mathematiker, Kryptologe und nach mehr als 30 Dienstjahren seit
2001 NSA-Dissident, sagt überhaupt, dass NSA und Co gar keine Nachrichten-
aufklärung mehr, sondern Forensik im Nachhinein betreiben
SMS statt Verschlüsselung
Nach all den von Politikern, Polizei und Diensten in die Welt gesetzten Gerüchten
hatte sich spätestens am Mittwoch herausgestellt, dass die Täter vor dem Anschlag
via SMS kommuniziert hatten. SMS ist ein nicht verschlüsselbarer Dienst, der
zusammen mit allen Metadaten der Kommunikation in ein und demselben SS7-
Datenstrom transportiert wird. Diese Inhaltsdaten werden im Regime der Vorrats-
datenspeicherung, das in Frankreich seit mehr als zehn Jahren gültig ist, von den
Telekoms aus technischen Gründen im Volltext mitgespeichert, weil das Gesamt-
volumen dieser Daten unerheblich ist.
Wie methodisch die Propaganda gegen Verschlüsselung von den Geheimdiensten
eingesetzt wird, zeigt eine von der "Washington Post" im September veröffent-
lichte E-Mail des Chefjuristen beim obersten Geheimdienstdirektor. Obwohl die
gesetzgeberische Umgebung derzeit sehr feindlich sei, solle man alle Optionen
offen lassen, schrieb General Counsel Bob Litt an seine Kollegen: "Das könnte
sich im Fall eines Terroranschlags sehr schnell ändern, wenn sichere Verschlüs-
selung für eine Verhinderung der Aufklärung verantwortlich gemacht werden
kann."
Quelle: http://fm4.orf.at/stories/1764708/