Atropin ist für Menschen tödlich, wenn sie es in höheren Dosen in ihre
Blutbahn bekommen. Das Gift der Tollkirsche führt zu Herzrasen, Schweiß-
ausbrüchen, Sehstörungen, zum Erschlaffen der glatten Muskulatur und vielen
anderen körperlichen Reaktionen. Der Wirkmechanismus dahinter ist, dass das
parasympathische Nervensystem gehemmt wird – und damit das sympathische
Nervensystem überwiegt. Das passiert normalerweise immer dann, wenn der
Körper auf Angriff, Flucht und große Anstrengungen vorbereitet werden soll.
Warum wird trotzdem Atropinsulfat als Notfallmedikament bei einem Attentat
mit chemischen Waffen eingesetzt?
Um das zu verstehen, muss man sich vor Augen führen, wie bestimmte chemi-
sche Gifte im Körper wirken. Chemische Kampfstoffe wie das Nervengas
Sarin hemmen beispielsweise die Acetylcholin-Esterase. Das ist ein körper-
eigenes Enzym, das den Botenstoff Acetylcholin normalerweise abbaut. Wird
dieser Botenstoff nicht mehr abgebaut, etwa weil ein Mensch Sarin oder einen
ähnlichen Wirkstoff aufgenommen hat, so sammelt sich Acetylcholin an den
Nervenzellen in einer hohen Konzentration an.
Es kommt zu einer Dauererregung der Nervenzellen. Die Symptome reichen
von Nasenlaufen, Augenschmerzen, Atemnot, Speichelfluss und Krämpfen
über Erbrechen bis hin zur Bewusstlosigkeit und dem Tod durch Atem-
stillstand.
Atropinsulfat hingegen bewirkt an den Nervenzellen genau das Gegenteil. Es
blockiert die Rezeptoren, an denen das Acetylcholin normalerweise andockt.
Das bedeutet, dass Acetylcholin nicht mehr wirken kann – egal, wie hoch die
Konzentration an den Nervenzellen ist. Der Botenstoff findet einfach keine
Andockstelle an den Nervenzellen.
Die Eigenart, die Atropin normalerweise so gefährlich macht, kann im Ernstfall
also lebensrettend sein. Und zwar deshalb, weil die eigentlich tödliche Wirk-
ung des einen Giftes in der Anwesenheit eines anderen Giftes lebensrettend
wirkt.
Bei einer Vergiftung mit Sarin müssen dem Patienten möglichst schnell zwei
Milligramm Atropinsulfat injiziert werden. Ob das Mittel schwere Schäden
oder den Tod durch das Nervengift verhindern kann, hängt allerdings auch
davon ab, wie schnell das Antidot gegeben wird.
Quelle und gesamter Artikel: http://www.welt.de/gesundheit/article149054094/Wieso-
ein-Gift-als-Gegengift-wirken-kann.html