Das “erste Mal” war für Hamed Abdel-Samad nicht so spektakulär, wie er es sich
wahrscheinlich ausgemalt hatte. Aber vielleicht lag es auch daran, dass er für die
junge Frau, einer amerikanischen Touristin, keine tieferen Gefühle hatte - und
außerdem nicht er sie, sondern sie ihn verführte.
Es war während seiner Studentenzeit in Kairo, als er einerseits Anhänger der Mus-
limbrüder war, andererseits aber auch nebenbei am Flughafen als Fremdenführer
arbeitete, um etwas Geld zu verdienen:
“Durch meine Arbeit am Flughafen kam ich in Kontakt mit Touristinnen aus aller
Welt, doch ich war seit meiner unvollendeten Romanze mit Patricia zu schüchtern,
ihnen näher als notwendig zu kommen. Einmal beauftragte mich mein Freund
Hosam, der mittlerweile auch in der Tourismusbranche jobbte, eine amerikanische
Touristin zu begleiten, in der er seine zukünftige Ehefrau sah.”
Doch diese war anscheinend an Hamed Abdel-Samad mehr interessiert, obwohl er
ihr gegenüber zurückhaltend war: “Wir besichtigten allein ein wenig besuchtes
Pharaonengrab. Plötzlich fing sie an, mich zu küssen, öffnete mir die Hose und gab
mir gekonnt einen Blowjob. Ich war wie versteinert und ließ sie gewähren. Wir
gingen zu ihrem Hotel, wo ich mich auf ihr Zimmer schleichen musste, was in
Ägypten verboten war. Ich fragte sie, warum sie mich und nicht Hosam ausgesucht
habe, der mir viel männlicher und humorvoller zu sein schien. Sie sagte: “Du
schaust aus wie ein Engel, und ich wollte die Erste sein, die dich küsst und mit dir
Liebe macht.” Ich wunderte mich, dass für Europäerinnen die Jungfräulichkeit des
Mannes auch einen großen Wert besaß. Ich tanzte mit ihr, und sie machte mich zum
Mann, wenngleich ich kaum eine Veränderung spürte.
Das Ganze war lediglich eine Kopfsache. Es war nichts anderes als ein weiteres
Initiationsritual. Ich erkannte in dieser Nacht, dass ich nicht zärtlich sein konnte. Der
Geschlechtsverkehr grenzte an eine Vergewaltigung. Es war kein Liebesakt, sondern
eine Demonstration der Macht, ein Akt der Gewalt, der nach Liebe schrie. Eine
gewalttätige Bestätigung, dass ich Frauen liebe, keine Männer, keine Kinder.
Aber danach befielen mich Schuldgefühle. Ich hatte eine der größten Sünden
begangen. Würde ich jetzt zu irgendeinem der Brüder gehen und ihn bitten, mich
von ihr zu reinigen? Natürlich nicht. Wenn Gott mich bestrafen wollte, dann sollte er
das auf seine Art tun. Ich kehrte zu den Muslimbrüdern zurück, als wäre nichts
geschehen. Ich habe ihnen auch verheimlicht, dass ich in einem Reisebüro
arbeitete, galt ihnen doch das Geld, das man durch den Tourismus verdient, als
unrein, da es aus dem Verkauf von Alkohol und der Entweihung der Heiligtümer
unseres Landes stammt.”