Hamed Abdel-Samad studierte nahe der Stadt Osaka Japanisch und besuchte
darüber hinaus Seminare in Politikwissenschaft und Jura. Sein Studium finan-
zierte er sich durch Kellnern und als Englisch- und Deutschlehrer.
Inspiriert wurde er zu dem Aufenthalt in Japan durch die Geschichte von
Yamaoka, dem japanischen Schüler des Erfinders Rudolf Diesel, der seinem
Lehrer zu Ehren in Augsburg ein Denkmal errichtete, nachdem seine eigene Stadt
ihn verleugnet hatte.
Doch in Osaka sah Hamed Abdel-Samad nicht viele Gärten - es war eine überfüllte
moderne Industriestadt. Und obwohl es in Japan keine Rolle spielte, dass er
Muslim war (die meisten hielten ihn für einen Amerikaner), sehnte er sich doch
schließlich nach Deutschland zurück. Denn dort konnte man sich zumindest
normal mit den Leuten unterhalten und auch Diskussionen führen ...
Hamed Abdel-Samed schreibt dazu folgendes: “Ich versuchte, mein idealisiertes
Japanbild so lange wie möglich aufrechtrechtzuerhalten: das Land des unge-
trübten Friedens. Doch schnell wurde deutlich, dass auch die Japaner Menschen
sind, die Konflikte und Aggressionen durchleben, sie allerdings nicht zeigen
dürfen. Die Japaner unterscheiden in ihrem Verhalten zwischen “honne”, wahre
Meinung, und “tatemae”, gezeigte Meinung. Die wahre Haltung und Meinung
dürfen nicht zum Ausdruck gebracht werden, um die Harmonie nicht zu gefähr-
den. Und so entpuppte sich sie von mir gelobte Harmonie meist als nur inszeniert.
Mir gelang es nicht, in Japan eine tiefe Freundschaft zu schließen. (...) Japan ist
eine isolierte Insel, die durch viele unübersichtliche Rituale und ungeschriebene
Gesetze für einen Ausländer ein Rätsel bleibt.” (S.234*)
Japan ist außerdem eine sehr patriarchal geprägte und leistungsorientierte
Gesellschaft, in der nur Arbeit und beruflicher Erfolg zählt. Dementsprechend
unbefriedigend sind oft die Beziehungen zwischen Mann und Frau:
“Die japanische Gesellschaft ist stark hierarchisiert, Männer bestimmen fast alles.
Einmal saß ich im Zug und sah, wie ein Mann eine ihm unbekannte Frau anbrüllte,
weil sie sich schminkte, was als eine Unverschämtheit gilt. Ihm war nicht ent-
gangen, dass der Mann, der direkt neben ihm saß, gerade in einem Pornoheft mit
halbnackten Mädchen in Schuluniform blätterte, und er war nicht der Einzige. Es
ist eine Selbstverständlichkeit, dass die Frau, auch wenn sie die gleiche Bildung
hat wie der Mann, für die gleiche Tätigkeit weniger verdient. Sie kocht für ihre
männlichen Kollegen Tee und muss womöglich sexuelle Belästigung in Kauf
nehmen (....)
Was mich nervte, war das Fernsehen. Alle Kanäle sendeten ununterbrochen
Schrott, als gäbe es das Medium nur, um 120 Millionen Idioten zu unterhalten.
Entweder gab es Kochwettbewerbe oder Reiseprogramme, die Stereotype über
exotische Reiseziele verbreiteten, oder aber flache, idiotische Komödien. Ich sah
so gut wie nie eine interessante Diskussion über Politik, Religion oder Literatur.
Das Fernsehen war in erster Linie da, um gelangweilten Hausfrauen etwas
Abwechslung zu bieten.
Die Männer unterhalten sich in Japan anders. Neben Baseball, Pachinko und
Pferdewetten pflegen sie nachts ihre geheimen Hobbys. Mehr als zwei Millionen
japanische Frauen arbeiten im sogenannten “mizushobai”-Business in Nacht-
clubs und kümmern sich Tag für Tag um die von Stress gebeutelten Männer. Die
Ehefrauen wissen natürlich, was ihre Männer nächtens treiben, aber darüber, wie
über so vieles andere, wird in dieser Gesellschaft geschwiegen.
Geld ist der wahre Gott in Japan, und nichts ist wichtiger als die Arbeit. Wenn ein
Mitarbeiter gefeuert wird, heißt es: “Er ist geköpft worden!” Viele arbeiten
buchstäblich bis zum Tod. Völlige Hingabe an die Arbeit ist alles in Japan. (...)
Weder meine Gastfamilie noch meine japanischen Kommilitionen ließen sich auf
eine tiefgehende Diskussion ein, erkundigten sich nur nach meinem Befinden und
kritisierten nie mich oder meine Kultur. Ich ertappte mich dabei, die Deutschen zu
vermissen. Ich sehnte mich nach einer konstruktiven Diskussion, bei der jeder
sagt, was er denkt. Aus der Ferne erschien mir Deutschland auf einmal faszi-
nierend und tiefgründig.” (S.236 ff.*)