Hamed Abdel-Samad zieht zum Abschluss in seiner Autotiographie folgendes
Resumee:
“Ich habe, wie alle Menschen auch, von meinen Eltern Vorstellungen, Lebens-
themen und -aufgaben geerbt, die es zu verstehen und bewältigen gilt. Ich
habe aber nichts bewältigt und nur wenig verstanden. Das ist die Erbsünde,
die auf mir lastet. Weil mir das nicht gelungen ist, fliehe ich mein Leben lang.
Ich ging ans Ende der Welt, nur um das zu wiederholen, was mein Vater tat. Er
konnte die Israelis, die ihn gedemütigt hatten, nicht erwischen, deshalb
richtete er seinen Zorn gegen meine Mutter und mich und flüchtete in Drogen.
Ich konnte meine Peiniger nicht bestrafen, deshalb richtet sich meine Strafe
gegen Unschuldige. Ich bin stets vor eine Geschichte in die nächste geflohen.
Die Klinik war für mich genauso ein Ort der Zuflucht wie die Betten der vielen
Frauen, die ich kannte, wie das Dach unseres Hauses im Dorf und wie die
Brücke, auf der die Zigeuner ihr Kind zurückgelassen haben sollen. Gerade
diese Zigeunergeschichte scheint das einzig Wahre in meinem Leben zu sein.
Ich sehe mich am Ende jedes Lebensabschnitts immer wieder auf dieser
Brücke stehen: einsam und verlassen; keiner, der Brücken baut, und keiner,
der welche abreißt, nur einer, der auf der Brücke steht und darauf wartet, von
seinen wahren Eltern abgeholt zu werden. (...)
Quelle: Hamed Abdel-Samad “Abschied vom Himmel”, 2010,
               Knaur Taschenbuch, S.288 ff.