Industrielle Landwirtschaft
Heutzutage wird immer deutlicher, dass dieses System an seine biologischen
Grenzen stößt und nicht zukunftsfähig ist. Synthetische Dünger wird sich
ebenso verteuern und zur Neige gehen wie der fossile Treibstoff für Traktoren
und Agrofabriken. Schwere Maschinen verdichten die Böden und zerstören das
Bodenleben. Stickstoff, Kalisalze und Pestizide verseuchen Äcker und Ozeane.
Monokulturen beschleunigen das Artensterben und den Klimawandel.
Gentechnisch veränderte Pflanzen und Hybridsorten, die ihre Fortpflanzungs-
fähigkeit verloren haben, bedrohen die Ernährungssouveränität und Unab-
hängigkeit von Bauernfamilien und ganzen Gesellschaften.
Die von einem internationalen Wissenschaftlerteam unter Leitung von Johan
Rockström in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlichte Studie „Ein sicherer
Betriebsbereich für die Menschheit“ (A safe operating space for humanity) kam
2009 zu einem schockierenden Ergebnis: im Ausmaß noch weit schlimmer als
der Klimawandel seien das weltweite Artensterben und der außer Kontrolle
geratene Stickstoff- und Phosphorkreislauf. In diesen drei von insgesamt neun
untersuchten Bereichen seien die menschengemachten Probleme inzwischen
so massiv, dass sie das sichere Weiterleben der Menschheit gefährden.
Für die drei Bereiche Artensterben, Stickstoff- und Phosphorkreislauf und
Klimakatastrophe ist die fossile Agroindustrie mit- oder sogar
hauptverantwortlich:
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Der globale Stickstoffkreislauf ist massiv gestört, seit vor gut hundert
Jahren das zumeist mit fossiler Energie betriebene „Haber-Bosch-
Verfahren“ die Herstellung von synthetischen Stickstoffdünger möglich
machte. (…) Inzwischen bestehen rund 30 Prozent des Stickstoffes in
jeder unserer Körperzellen aus dieser künstlichen Produktion. Das Nitrat
aus überdüngten Feldern landet in Flüssen und Meeren, wo es zuneh-
mend für giftige Algen und tote Zonen sorgt. Mindestens zehn Millionen
Europäer trinken nitratbelastetes Wasser.
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Der für Pflanzen, Tiere und Menschen überlebenswichtige Phosphor wird
fast genauso schnell knapp wie Erdöl, der Förderhöhepunkt (Peak) wird
wahrscheinlich 2030 überschritten. Laut Umweltbundesamt werden die
Vorräte noch gut 80 Jahre reichen, aber zunehmend mit Cadmium und
Uran belastet und immer weniger ackertauglich sein. Schon jetzt werden
über diesen Weg jährlich schätzungsweise 120 bis 160 Tonnen Uran auf
deutschen Feldern ausgebracht; niemand hat je genau untersucht, was
das für die menschliche und tierische Gesundheit bedeutet, kein
Atomgegner hat je dagegen demonstriert.
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Statt den wertvollen Phosphor aus unserem Urin und die Nährstoffe aus
unserem Kot zurückzugewinnen, werden diese über unser zentralisiertes
Abwassernetz mithilfe eines Lebensmittels – Trinkwasser – weggespült.
Pro Person und Jahr werden so etwa zwei Kilogramm Phosphor in mehr
als 36 Kubikmeter Abwasser verdünnt. Mit viel Energie und hohen
Kosten wird ein Teil davon gereinigt und über die Flüsse in die Meere
geleitet. Der anfallende Klärschlamm ist oft so belastet, dass er nicht
mehr als Düngemittel geeignet ist, sodass er mit viel Geld und fossiler
Energie beseitigt werden muss. Phosphor wird so zum teuren
Umweltproblem.
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Der globale Kohlenstoffkreislauf ist ebenfalls massiv gestört. Weil wir
die in Jahrmillionen zusammengepressten „unterirdischen Wälder“ in
Form von fossilen Energien wie Öl, Gas und Kohle verbrennen, gerät zu
viel Kohlendioxid in die Atmosphäre. Unsere oberirdischen Wälder
können diese Mengen nicht mehr zu Sauerstoff umwandeln, das Klima
heizt sich auf. Fas 40 Prozent der globalen Treibhausgase werden direkt
oder indirekt durch die heutige Agrar- und Lebensmittelproduktion
verursacht, wenn man Verarbeitung, Transport, Verbrauch und Ent-
sorgung miteinrechnet. Für jede erzeugte Nahrungskalorie werden vier
bis 20 Kalorien fossiler Energie verbraucht – durch Düngemittel, Pesti-
zide, Traktorfahrten, Rohstofftransport, Verarbeitung, Vermarktung,
Verteilung an den Einzelhandel, Fahrten zum Supermarkt und Kochen.
Bis ein Kilogramm konventionell erzeugtes Rindfleisch die Fleischtheke
erreicht, werden so viele Klimagase freigesetzt wie bei einer Autofahrt
von 250 Kilometern.
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Kilometerweite Felder mit agrarischen Monokulturen ohne jeden Baum
und Strauch tragen zur regionalen Verschärfung der Klimaerwärmung
bei, weil sie den natürlichen Verdunstungskreislauf stören und die
Kühlung des Bodens verhindern. Zudem greifen sie die Haut der Erde
an, weil Wind und Wetter freies Spiel haben, um den fruchtbaren Boden
abzutragen. Die Nebenwirkungen dieses Raubbaus an der Natur sind
manchmal ebenso unerwartet wie schockierend: im April 2011 trieb ein
Sturm in Mecklenburg-Vorpommern so viel Sand von den umliegenden
Feldern auf die Autobahn Berlin-Rostock, dass es zu einer Massen-
karambolage kam. Acht Menschen starben, fast hundert wurden verletzt.
Diese agrofossile Landwirtschaft hat wegen ihrer ungeheuren Ressourcen-
verschwendung und Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen keine
Zukunft. Das Öl geht unwiderruflich zu Ende. Einer Studie der (ökologischer
Umtriebe unverdächtigen) Bundeswehr zufolge haben wir „Peak Oil“, also den
Höhepunkt der Ölförderung, bereits 2010 überschritten.
Je knapper das Öl wird, umso höher steigt der Preis für den Treibstoff, welcher
Traktoren, Erntemaschinen, Lebensmittelfabriken, Massentierzuchtanstalten
und Schlachthöfe in Gang hält. Umso teurer wird aber auch die Produktion von
synthetischem Dünger und Pestiziden. Auf dieser Basis kann man keine neun
Milliarden Menschen ernähren, die um 2050 den Planeten bevölkern werden.
Wenn wir nicht umsteuern, werden wir heftige und blutige Verteilungskämpfe
um knappe Ressourcen erleben.
Quelle: Ute Scheub/ Haiko Pieplow / Hans-Peter Schmid, „Terra Preta –
Die schwarze Revolution aus dem Regenwald“,
2013 oekom, München, S.23ff.