Am nächsten Tag durften Todenhöfer und seine Begleiter auch ein Gericht im Mosul
besuchen. In dem Gerichtsgebäude waren viele Menschen. Im ersten Stock treffen sie
einen Richter, der unter anderem für Strafsachen verantwortlich ist. Dabei stellte sich
heraus, dass er vor der Machtübernahme des IS Prediger in einer Moschee war. Alle
Richter in Mosul wurden übrigens von den Dschihadisten bei der Machtübernahme
getötet.
Todenhöfer schildert das Gespräch mit dem „IS-Richter“ folgendermaßen:
JT: Über welche Angelegenheit urteilen Sie?
Richter: Strafrecht, Familienrecht, Schuldrecht, Erbrecht.
JT: Haben Sie viel zu tun?
Ja. Ich bearbeite zurzeit cirka 30 bis 40 Fälle. Auch in zweiter Instanz, wenn nötig.
Wo haben Sie Jura studiert? 
In verschiedenen Moscheen.
In Moscheen?
Ja, ich war Prediger in einer Moschee, bevor der IS hierhergekommen ist.
Arbeiten hier auch Richter, die vor der Machtübernahme des IS schon Richter waren?
Nein, die wurden alle getötet. Sie haben die Gesetze der Menschen über die Gesetze
Gottes gestellt. Außerdem waren viele von ihnen korrupt. Die Menschen sind mit den
neuen Gesetzen und uns Richtern zufrieden. Wir wenden ja einfach nur die Shariah
an. Wir interpretieren nicht herum, sondern verfügen nur, was geschrieben steht. Alle
Fälle werden daher auch zügiger bearbeitet.
Sind für die nächsten Tage irgendwelche Exekutionen, Auspeitschungen oder
Handamputationen geplant?
Nein.
Welche Hand wird eigentlich abgehackt? Gibt es da eine Regel?
Ja, immer die Hand, mit der gestohlen wurde.
Geschieht das oft?
Ich selber habe nur zweimal die Hand abhacken lassen müssen. In der gesamten
Provinz kam das in den letzten vier Monaten nicht mehr vor. Es gab lediglich einen Fall
von Hurerei. Die Verurteilte wurde gesteinigt. Glauben Sie mir, das schreckt die Leute
ab. Außerdem, jetzt wo die Bestechung der Richter nicht mehr möglich ist, überlegen
sich die Leute genau, ob sie eine Straftat begehen oder nicht. Früher konnte man sich
freikaufen. Das geht heute nicht mehr. Gleiches Recht für alle.
Dann werden Todenhöfer und seine Begleiter von einem IS-Kämpfer gefragt, ob sie
vielleicht an einer Exekution teilnehmen wollen, es gäbe genug Gefangene mit
entsprechenden Straftaten: „Sie müssen es nur sagen. Wir haben kein Problem. Ich
kann das auch selber für Sie machen. Was hätten Sie gerne? Einen Kurden oder einen
Schiiten?“ Er lächelt, während er uns Exekutionen und Amputationen anbietet.“
Tofenhöfer lehnt schroff ab und sein Sohn Frederic ist “völlig schockiert. Was für ein
Zynismus!“ 
Quelle: Jürgen Todenhöfer, “Inside-IS - 10 Tage im “Islamischen Staat”,
                 2015 C.Bertelsmann Verlag, 14. Auflage, S.231ff.
Todenhöfer im Gespräch mit
dem IS-Richter