Todenhöfer reist am 2. Dezember 2014, begleitet von seinem Sohn Frederic und
dessen Freund Malcom, in den sogenannten „Islamischen Staat“ (bei sich hatten sie
eine Sicherheitskopie des Kalifats, die garantieren sollte, dass sie nicht getötet
werden… ).
Die Hinreise erfolgte mit der Turkish Airlines nach Istanbul und von dort nach Adamas
nahe der syrischen Grenze. Von dort wurden sie mit einem Auto nach Gaziantep
gebracht. Der Fahrer erzählte ihnen, dass die meisten IS-Kämpfer über Hatay, Urfa
oder Gaziantep nach Syrien gelangen.
Am 6. Dezember wurden Todenhöfer und seine Begleiter zusammen mit neun
angehenden IS-Kämpfern über die türkische Grenze geschmuggelt. Nachdem sie
(ohne Zwischenfälle) die „grüne Grenze“ passiert hatten, wurden sie zu einem alten
Haus gebracht, wo sie - gemeinsam mit neu angekommenen IS-Kämpfern -
übernachteten.
Am nächsten Tag konnten Todenhöfer und seine Begleiter Rakka besichtigen, wobei
sie erfuhren, dass diese gar nicht die wahre Hauptstadt des IS ist, sondern Mosul:
“Das werde nur in den Medien so aufgebauscht. Für den IS habe diese Stadt keine
herausragende Bedeutung. Mosul als Millionenstadt sei für den IS viel wichtiger.“
(S.187ff.) Der erste Eindruck von Rakka war, dass das Leben dort ziemlich normal ist.
Todenhöfer: „Man kann sich nicht richtig vorstellen, dass hier eine Terrororganisation
regiert. Dass wir uns im Zentrum des Terrors befinden.“ Aber: „Wir waren ja auch nicht
hier, als die Köpfe aufgespießt und die Menschen gekreuzigt wurden ...
In den nächsten Tagen erfuhren sie auch mehr über das Leben im „IS“ und seine
Regeln ....
Am 9.12.2014 ging es dann weiter nach Mosul, der eigentlichen Hauptstadt des IS.
Bis nach Al-Hasakah war nicht viel zu sehen außer Wüste und ab und zu eine kleine
Lehmhütte sowie ein paar Hirten mit ihren Schafen.
Dann ging es weiter nach Al-Shadadi. Dort war viel los: „In Al-Shadadi scheint es einen
tüchtigen Motorradverkäufer zu geben. Die Straßen sind voll mit Motorrädern. Hier ist
richtig was los. Es ist der lebhaftestete Teil des „Islamischen Staates“, den wir bisher
gesehen haben.“ (S.207)
Auf ihrem weiteren Weg fuhren sie auch am Sinjar-Gebirge entlang, in das während
des Sommers 2014 die Jesiden geflüchtet waren. Todenhöfer: „Die Landschaft ist
immer gleich: karg, fast leer, nur ab und zu kleine Dörfer. Plötzlich sehen wir viele
ausgebrannte, zerschossene Autos, die am Straßenrand oder einige Meter im Feld
liegen. Als wäre hier das Propagandavideo des IS gedreht worden, in dem der IS ein
Auto nach dem anderen beschießt, bis alle Insassen tot sind. Später bestimmen mehr
und mehr zerstörte Gebäude die Landschaft. Frederic darf noch immer keine Fotos
machen. „Erst in Mosul“, heißt es stets.
Dann sind endlich die ersten Vororte von Mosul zu sehen: „Wir fahren an einem
großen Gefängnis vorbei. Eine der Mauern ist zerstört. Der IS hat hier eine „Märtyrer-
Operation gemacht und alle Gefangenen befreit“, erklärt uns Abu Qatadah stolz (…)
Wir kommen an einer Ölraffinerie vorbei. Sie scheint in Betrieb zu sein. Sicher-
heitspersonal steht am Eingangstor, Menschen sind auf dem Grundstück zu sehen.
Die Gegend ist voller Ölfelder. Man kann sie nicht nur sehen, sondern auch riechen.
Auch an einem Flüchtlingslager fahren wir vorbei. Unzählige Menschen leben hier in
Zelten. Woher sie wohl kommen, warum sie zum IS geflüchtet sind? Uns wird gesagt,
sie kämen aus umkämpften oder zerstörten Gebieten.“ (S.210)
Und dann erreichten sie endlich die Millionenstadt Mosul, im Herzen des „Islamischen
Staates“: „5000 IS-Kämpfer kontrollieren diese Stadt mit schätzungsweise zwei
Millionen Einwohnern. Weniger als 400 Mann waren nötig, um über 20.000 irakische
Soldaten, zwei Divisionen, in die Flucht zu schlagen. Abu Qatadah meint sogar, es
seien nur 183 Mann gewesen.“
Laut Todenhöfer machte Mosul einen “verdammt normalen Eindruck. Wie andere
Großstädte im Nahen Osten. Nichts sieht nach „IS-Steinzeit“ aus. Im Gegenteil. Mosul
ist eine vibrierende, lebendige Großstadt, mit viel Verkehr und unzähligen Menschen
auf den Straßen.” Aber er fügt hinzu: “Natürlich vergesse ich in diesem Moment nicht,
dass hier unzählige Schiiten und Jesiden ermordet oder vertrieben wurden und Zig-
tausende Christen geflohen sind. Mosul ist jetzt eine rein sunnitische Stadt. Das Leid
der Ermordeten und Vertriebenen sieht man nicht.“ Weitere Details siehe ....
In Mosul durften Todenhöfer und seine Begleiter auch ein Krankenhaus
und ein Gericht besichtigen ...
Auf einem ehemaligen Stützpunkt der irakischen Armee, der nun ein Stützpunkt des
IS ist, dürfen sie zum Schluss auch noch ein Trainingslager der Dschihadisten
besuchen - dabei werden sie von US-Drohnen beobachtet und gestört. Das
Schockierende an diesem Trainingslager war jedoch vor allem: neben erwachsenen
Männern befanden sich dort auch viele Kinder und Jugendliche. „Kindersoldaten“ sind
im sogenannten „Islamischen Staat“ anscheinend ganz „normal“ …
Die Dschihadisten wirken jedenfalls sehr motiviert. Anscheinend glauben sie
tatsächlich, dass sie für „Allah“ kämpfen und nach ihrem Tod ins Paradies kommen
(wo sie ja angeblich „himmlische (sexuelle) Freuden“ in Gestalt von unzähligen, wun-
derschönen Jungfrauen erwartet. Da wird man natürlich gerne zum “Märtyrer” ….)
Und außerdem: Demokratie ist mit dem „IS“ unvereinbar. Denn diese sei nicht im
Sinne von „Allah“ …
Zum Abschluss der „Besichtigungsreise“ im IS interviewte Todenhöfer noch den
deutschen IS Kämpfer Abu Qatadah (der ihr Hauptansprechpartner war und eine
leitende Funktion beim IS hatte) über die Gründe, Motivation und Ziele der IS-Dschi-
hadisten. Aber auch über die Gefahr von Terroranschlägen in Deutschland und Europa
gab der IS-Kämpfer Auskunft …
Am Anfang waren die IS-Kämpfer freundlich zu Jürgen Todenhöfer und seine
Begleiter. Nach einigen Tagen – und einigen Diskussionen und auch einiger Kritik am
IS – verschlechterte sich die Stimmung zusehends.
Schließlich fragte Todenhöfer einen der Dschihadisten namens Abu Loth (der fast bis
zum Schluss freundlich war), warum sich eine so große Distanz entwickelt hat.
Er bekam folgende Antwort: „Am Ende seid ihr halt Ungläubige. Ihr glaubt nicht an den
richtigen Islam. Aber ihr habt nicht irgendwelche Fehler begangen, Beleidigungen oder
so.“ Viel störender noch als meine Kritik sei die Barriere der Religion. Die werde
immer da sein. Er sagt, dass er sogar gegenüber seinen Familienmitgliedern Hass
empfinde, weil sie nicht den wahren Glauben annähmen. „Die Liebe zu Allah ist das
Größte, das Wichtigste.“ Sein Vater denke, er sei Muslim. Aber gleichzeitig sei er von
der Demokratie überzeugt. „Das geht so nicht. Du kannst dich nicht dem Grundgesetz
unterwerfen und sagen, dass du an Allah glaubst, der etwas ganz anderes fordert als
das Grundgesetz.“
Außerdem sei das Mißtrauen im IS groß. Man gehe davon aus, dass es Geheim-
agenten gebe, die den IS systematisch unterwanderten. Sie kämen vor allem aus
Syrien. Daher sei es schwierig, in den engeren Vertrauenskreis zu gelangen. Nur durch
Fürsprachen komme man weiter. In einem Vorort von Aleppo hätten sich die Bürger
mit der FSA zusammengetan und aus dem Nichts angefangen, den IS zu bekämpfen.
Sehr viele IS-Leute seien dort festgenommen worden. Man habe viele Feinde.
Auch ich sei ein Feind. Sie hätten meine Aussagen über den IS ja schwarz auf weiß
nachlesen können. Den Feind jeden Tag bei sich zu haben, mit ihm zu reisen, zu essen
und auf demselben Boden zu schlafen, sei nicht ganz leicht zu verarbeiten.”
Todenhöfer weiter: „Abu Loth wäre ein feiner Kerl, wenn er andere Freunde gefunden
hätte, wenn er der IS-Ideologie nie begegnet wäre. So aber vertritt er all den ideo-
logischen Schrott, den ihm seine Freunde eingeredet haben. Über Frauen zum Bei-
spiel. Sie hätten zwar auch gute Eigenschaften, seien aber letztlich körperlich und
geistig begrenzt. Deshalb zählen im IS zwei Zeugenaussagen von Frauen so viel wie
die Aussage eines Mannes. Frauen sollten am besten zu Hause bleiben. Dort seien sie
am besten aufgehoben. Das sei im Westen bis vor ein paar Jahrzehnten ja auch so
gewesen.“ (S.157ff.)
Und hier noch ein paar Statements der IS-Dschihadisten zu Themen wie Freiheit,
Unglaube, Zukunft des Westens, IS-Strafen, die Türkei und Schiiten (Glaubensvor-
stellungen, mit denen junge Menschen auch in den Moscheen in Europa für den IS
gewonnen werden …) …
Am 15. Dezember 2014 erreichten (nach einigen Verzögerungen und Hindernissen)
Todenhöfer und seine Begleiter endlich wieder die türkische Grenze. Sie hatten den
ganzen Wahnsinn überlebt.
Als er sofort zu Hause anruft, ist seine Familie sehr erleichtert: “Warum wir uns nicht
gemeldet hätten! (....) Francoise, Valerie und Malcolms Mutter weinen hemmungslos,
als sie unsere Stimmen hören. Über eine Woche hatten sie nichts von uns gehört.
Jetzt ist alles wieder gut. „Wir sind draußen! Uns geht’s gut!“ (S.268)