Wer zu viel von Rasse spricht, hat keine mehr“, schreibt Spengler. Nun kann
man dem entgegnen, der Islam sei keine Rasse. Falsch. Da die meisten
modernen islamischen Nationalstaaten es nicht schafften, ihren Bürgern eine
stabile, sinnstiftende Identität anzubieten, wird Spenglers „Rasse“ durch die
Religion als Hauptquelle der Identität ersetzt.
Da die islamische Religion aber aus sich heraus keine kreative Kraft mehr
schöpfen kann, bleibt ihr nur die Kultur des Widerstandes. Dieser Widerstand
richtet sich jedoch nicht gegen die wahren Gründe des Rückstandes und
mündet in keine Revolution, sondern sucht sich gleichsam Sündenböcke im
Ausland, die für die eigene Misere verantwortlich zu machen sind. Dieser
Kampf gegen Windmühlen raubt der Religion, der Kultur, den Menschen die
verbliebene Energie, die eine Gesellschaft für die Veränderung braucht.
Im Westen herrscht die Vorstellung, der Islam sei übermächtig und befinde
sich auf dem Vormarsch. Die demographische Entwicklungen in der
islamischen Welt und in Europa sowie die blutigen Anschläge und schrillen
Töne des fundamentalistischen Islam bestätigen viele Menschen im Westen in
ihren Annahmen. Tatsächlich ist es jedoch so, dass sich die islamische Welt in
die Defensive gedrängt fühlt und gegen die in ihrer Wahrnehmung aggressive
Macht- und Wirtschaftspolitik des Westens heftig protestiert.
Das Engagement der westlichen Mächte in Afghanistan und im Irak sowie die
vielen ungelösten Konflikte in der islamischen Welt, von Tschetschenien bis
Palästina, lassen dort Verschwörungstheorien über die hegemonialen An-
sprüche und Bemühungen des Westens wuchern. Während viele Europäer die
Islamisierung Europas und den Untergang des Abendlandes beschwören,
sehen sich viele Muslime eher als Opfer eines westlichen Masterplanes, der die
totale Kontrolle über die Ressourcen der Muslime und die Unterwanderung
ihrer Heiligtümer vorsieht.
Diese beiden Wahrnehmungen haben viel mit dem eigenen Selbstbild zu tun.
Es rührt von den eigenen Ängsten, Unzulänglichkeiten und der Projektion der
eigenen Geschichte auf den anderen her. (…)
Was den Islam betrifft, mag er in seinem jetzigen Zustand alles Mögliche sein,
nur eines ist er meines Erachtens gewiss nicht: Er ist nicht mächtig. Er ist im
Gegenteil schwer erkrankt und befindet sich sowohl kulturell als auch
gesellschaftlich auf dem Rückzug. (…)
Der Vormarsch des Islamismus ist bloß eine aufgeregte Mobilisierung (….) Es
sind klare Zeichen des Mangels an Selbstbewusstsein und Handlungsoptionen.
Es handelt sich nur um das verzweifelte Anstreichen eines Hauses, das kurz
davor steht, in sich zusammenzustürzen. Aber auch der Zusammenbruch eines
Hauses bleibt gefährlich, und das nicht nur für seine Bewohner.”
Quelle: Hamed Abdel-Samad, “Der Untergang de islamischen Welt”,
            Droemer Verlag, 2010, S.14 ff.