Hamed Abdel-Samad, der als Kind selbst diese Art von Unterricht bekommen
hat, schreibt dazu folgendes:
“Wer einen Blick in aktuelle arabische Schulbücher wirft, wird sofort erkennen,
wie verzerrt und einseitig Geschichte gelehrt wird: ein Spagat zwischen einer
fehlerfreien, glorreichen islamischen Geschichte, die nur Humanismus und
Blütezeiten kannte, und einer reinen Opferrolle in der Gegenwart.
Im ersten Abschnitt des aktuellen Geschichtsbuchs für die Sekundarstufe in
Ägypten werden in selbstverherrlichender Weise die Errungenschaften der der
arabischen und islamischen Kultur geschildert, gefolgt von einem Kapitel, das
darlegt, weshalb die moderne europäische Zivilisation eigentlich gar nicht
europäisch sei, sondern in den Bereichen Medizin, Philosophie, Mathematik
und Literatur alles den Muslimen zu verdanken habe. Das nächste Kapitel listet
auf, was die glorreiche islamische Kultur geschwächt hat: Die mittelalterlichen
Kreuzzüge verdeutlichen die Brutalität des Westens; pathetisch wird
beschrieben, wie die Kreuzfahrer Jerusalem eroberten und jeden Muslim, der
ihnen in die Quere kam, ermordeten. (…)
Das nachfolgende Kapitel handelt vom Kolonialismus, der die islamische Welt
ihrer Ressourcen beraubte und sie in der kulturellen Entwicklung um
Jahrhunderte zurückwarf.
Dann geht es im letzten Kapitel um die Gründung Israels als Ergebnis einer
westlichen Verschwörung und als Fortsetzung des Imperialismus in der
islamischen Welt. Über die Geschichte der europäischen Juden in Mittelalter
und Neuzeit erfahren die ägyptischen Sekundarschüler, dass diese sich in den
europäischen Städten in Ghettos zurückgezogen und ein Vermögen
angesammelt hätten, bevor sie den Zionismus gründeten. Antisemitismus und
Holocaust werden in diesem offiziellen Schulbuch mit keinem Wort erwähnt.
Ägyptische Juden, die über Jahrhunderte hinweg und bis zur Gründung Israels
im Land lebten und nicht wenig zu den kulturellen Errungenschaften Ägyptens
beigetragen haben, finden ebenfalls keine Erwähnung. (…) Die eigenen
Versäumnisse und Aggressionen und Eroberungskriege des Islam werden
entweder übergangen oder als rechtmäßíge Kriege zur Erleuchtung der
heidnischen Völker durch die islamische Lehre dargestellt. Die Kriege, die man
selbst anzettelte, nennt man fath, also Öffnung mit einem göttlichen Auftrag.
Die Kriege der anderen nennt man ghazw, also Invasion. Das ägyptische
Lehrwerk der Sekundarstufe räumt nur eineinhalb Seiten dem Überfall der
Mongolen im 13.Jahrhundert ein, als Bagdad verwüstet wurde. Obwohl diese
Invasion, verglichen mit den Kreuzzügen wesentlich brutaler war und
weitreichende Folgen für den Zerfall der muslimischen Zivilisation hatte, findet
sie kaum Beachtung. Die Zerstörung von Bibliotheken, die Vernichtung von
Büchern, die Tötung vieler Denker und die Verschleppung begabter
Handwerker nach Zentralasien, all das schwächte die islamische Kultur
drastisch und leitete die Distanzierung des Islam von einer Kultur des Wissens
ein und trug auch zum Wiedererwachen der Dschihad-Ideologie bei. (...)
Wenig also über die mongolischen Aggressoren, dagegen findet man in dem
gleichen Buch dreizehn Seiten über die brutalen Kreuzritter, die sich an Ver-
träge nicht halten und kein anderes Ziel verfolgen, als Muslime zu töten und die
Kontrolle über ihre heiligen Stätten zu erlangen. (...) Die Schüler müssen den
Eindruck gewinnen, der Europäer von heute sei der Kreuzritter im modernen
Gewand, ihn interessieren nur Ausbeutung und Ausrottung aller, die nicht
seiner Kultur angehörten.
Zwischen dem letzten Kreuzzug im 13. Jahrhundert und Napoleons Ägypten-
feldzug Ende des 18.Jahrhunderts liegen allerdings 507 Jahre islamisch-euro-
päischer Geschichte, die kaum Erwähnung in den Geschichtsbüchern finden.
Darunter waren aber 400 Jahre osmanischer Herrschaft in der arabischen Welt,
und diese werden nicht als eine Epoche des Kolonialismus betrachtet, obwohl
die Osmanen mehr zur Rückständigkeit der arabischen Welt beigetragen haben
als die europäischen Kolonialmächte.” (S.35ff.)
“Merkwürdig ist, dass die meisten Herrscher in der islamischen Welt treue
Verbündete des Westens sind. Ihr diktatorischer Machtstil wird von den
westlichen Demokratien geduldet, teils erheblich protegiert, und fast immer
werden sie mit Waffen und Entwicklungshilfe gestützt, damit sie die westlichen
Interessen in ihrer Region verteidigen und dort für Stabilität sorgen – weiß
Gott, was damit gemeint ist. Den Rücken von der westlichen Allianz gestärkt,
gehen diese Despoten mit ihren Regimegegnern oft brutal um, um eben jene
„Stabilität“ zu sichern. Gleichzeitig werden die Regimegegner als Spione des
Westens tituliert und der Westen in den Schulbüchern als der Grund für alle
Übel dargestellt.
Nach dem 11. September 2001 wurden die arabischen Staaten allerdings von
ihren westlichen Verbündeten unter Druck gesetzt, um die Schulbücher vom
Hass gegen den Westen und gegen Andersgläubige zu befreien. In einem nicht
durchdachten Aktionismus wurden in der Tat einige Lehrinhalte entfernt, die
unmissverständlich zum Hass aufrufen, vor allem in Saudi-Arabien und
Ägypten. Neue Passagen, die für das friedliche Zusammenleben zwischen den
Völkern plädieren, wurden eingefügt, ohne jedoch die Grundhaltung der
Schulbücher zu verändern. Es blieben viele problematische Passagen stehen,
weil sie auf Koranpassagen oder Aussagen des Propheten basieren. (…)
Nachdem der saudische Botschafter in Washington die Lehrpläne seines
Landes für hassfrei erklärte, untersuchte die „Washington Post“ dies in einem
Bericht im März 2006 und stellte fest, dass die Religionsschulbücher nach wie
vor vom Islam als der einzig wahren Religion sprächen und dass in ihnen der
Dschihad gegen die Ungläubigen und Polytheisten als Pflicht eines gläubigen
Muslims dargestellt sei. Der Bericht listete zahlreiche Beispiele für die nach
wier vor hasserfüllten Passagen in den Schulbüchern auf. (...)
In dem „reformierten“ Buch der vierten Klasse ist zu lesen:
„Der wahre Glaube bedeutet, dass du die Ungläubigen und die Plytheisten
hasst und ihnen mit Härte begegnest.
„Wer die Lehre des Propheten befolgt und die Einigkeit Allahs bezeugt, darf
keine Freundschaft mit Menschen pflegen, die gegen Allah und seinen
Propheten sind, selbst wenn sie zu den nächsten Verwandten gehören.“
Aus dem Buch für die sechste Klasse:
„Die Affen sind die Juden, die Leute des Sabbats, und die Schweine sind die
Christen, die ungläubigen Anhänger Jesu.“
Die Elftklässler werden auf die Ideologie des Dschihad vorbereitet:
„Kampf gegen Unglaube, Unterdrückung, Ungerechtigkeit und diejenigen, die
sie verbreiten. Dies ist der Gipfel des Islam. Diese Religion ist durch den
Dschihad entstanden und durch die Flagge des Dschihad aufgestiegen.“ (...)
Derartige Bücher werden nicht nur in Saudi-Arabien als Lehrmaterial benutzt,
sondern auch in neunzehn europäischen Staaten, in denen saudische
Akademien existieren. Und selbst wenn einige Inhalte aus Verlegenheit
modifiziert werden, bleibt die Geisteshaltung der Lehrer die gleiche, denn sie
wurden durch die alten Lehren beeinflusst.” (S.40ff.)