Die Europäische Union muss sich auch um mehr Gewicht auf der Weltbühne
bemühen. Um mehr Gewicht zu erlangen, muss sie außenpolitische Beschlüsse
schneller fassen können. Deshalb bitte ich die Mitgliedstaaten zu prüfen, welche
außenpolitischen Beschlüsse nicht mehr einstimmig, sondern mit qualifizierter
Mehrheit gefasst werden könnten. Der Vertrag lässt dies zu, wenn der Europäische
Rat dies einstimmig beschließt.
Im Verteidigungsbereich sind weitere Anstrengungen vonnöten. Die Schaffung
eines europäischen Verteidigungsfonds steht auf der Tagesordnung; die
Permanente Strukturierte Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich ist auf gutem
Weg. Bis 2025 brauchen wir eine funktionierende Europäische Verteidigungs-
union. Wir brauchen sie. Und die NATO hätte sie gerne.
Nicht zuletzt möchte ich – in Weiterführung der Kommissionsbemühung der
letzten Jahre –,dass sich unsere Union stärker auf die wirklich wichtigen Dinge
konzentriert.Wir sollten die Bürger Europas nicht mit Regelungs-Klein-Klein
nerven, sondern in großen Dingen Größe zeigen, nicht pausenlos neue Initiativen
vom Zaun brechen und Befugnisse, dort wo es sinnvoll
Deshalb hat diese Kommission in großen Dingen Größe gezeigt und sich in
kleinen Dingen zurückgehalten. Sie hat weniger als 25 neue Initiativen pro Jahr
vorgelegt, während es bei der Vorgänger-Kommission noch über 100 waren. Wir
haben Befugnisse zurückgegeben, dort, wo es sinnvoller ist, dass die National-
regierungen die Dinge selbst in die Hand nehmen. Dank der hervorragenden Arbeit
von Kommissarin Vestager haben wir 90 Prozent der staatlichen Beihilfeent-
scheidungen auf die regionale oder kommunale Ebene verlagert.
Um die begonnene Arbeit sinnvoll zu Ende zu führen, setzen wir noch in diesem
Monat eine Task Force Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit ein. Der Erste
Vizepräsident Frans Timmermans, der sich jetzt schon um bessere Rechtssetzung
verdient gemacht hat, wird diese Task Force leiten. Dieser Timmermans-Task-
Force werden auch Mitglieder dieses Parlaments und nationale Parlamentarier
angehören. In einem Jahr wird sie Bericht erstatten.
Usere Union muss einen demokratischen Sprung nach vorn machen.
Bei den kommenden Wahlen zum Europäischen Parlament sollten die
europäischen Parteien früher mit dem Wahlkampf anfangen als bisher. Allzu oft
war der Europawahlkampf nicht mehr als die Summe der nationalen Kampagnen.
Die europäische Demokratie hat etwas Besseres verdient.
Deshalb schlägt die Kommission heute neue Regeln zur Finanzierung
politischer Parteien und Stiftungen vor. Wir sollten nicht extremen anti-
europäischen Gruppen die Kassen zu füllen, sondern vielmehr europäischen
Parteien bessere Möglichkeiten geben, sich zu organisieren. Wir müssen dafür
sorgen, dass zwischen dem, was in diesem Hause geschieht, und dem, was im
Wahlkampf gesagt wird, ein engerer Zusammenhang besteht.
Ich halte auch europaweite, transnationale Listen für eine gute Idee, auch wenn
mir bewusst ist, dass einige von Ihnen damit nicht einverstanden sind.
SolcheListen würden dazu beitragen, die Europawahlen europäischer und
demokratischer zu machen.
Ich bin zudem der Meinung, dass wir die nationalen Parlamente und die Zivil-
gesellschaft auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene in den kommenden
Monaten an der Arbeit am Europa der Zukunft beteiligen sollten.
In den vergangenen drei Jahren sind die Mitglieder der Kommission mehr als 650
Mal in den nationalen Parlamenten zu Gast gewesen. Ferner haben sie an über 300
interaktiven Bürgerdialogen in mehr als 80 Städten in 27 Mitgliedstaaten teilge-
nommen. Aber wir können noch mehr tun. Deshalb unterstütze ich die Idee von
Präsident Macron, 2018 demokratische Konvente in allen Teilen Europas zu
organisieren.
Ich werde mich selbstverständlich an dieser an Intensität zunehmenden Debatte
beteiligen und dabei 2018 besonders Estland, Lettland, Litauen und Rumänien in
den Blick nehmen. Diese Länder feiern im kommenden Jahr ihren hundertsten
Geburtstag. Wer die Zukunft unseres Kontinents gestalten will, sollte unsere
gemeinsame Geschichte gut verstehen und ehren.
Der Bedarf an mehr Demokratie hat auch für die Europäische Kommission selbst
Konsequenzen. Heute lege ich dem Europäischen Parlament einen neuen Verhal-
tenskodex für Kommissionsmitglieder vor. Dieser neue Verhaltenskodex
eröffnet erstens allen Kommissionsmitgliedern die Möglichkeit, als Kandidat bei
den Europawahlen anzutreten. Zweitens wird der neue Kodex natürlich die Integri-
tätsanforderungen an Kommissionsmitglieder erhöhen, sowohl während ihres
Mandats als auch danach.
Mehr Demokratie heißt mehr Effizienz. Europa würde besser funktionieren, wenn
wir das Amt des PRÄSIDENTEN der Europäischen Kommission mit dem des
Präsidenten des Europäischen Rates verschmelzen könnten.
Dieser Vorstoß geht nicht gegen meinen guten Freund Donald, mit dem ich in den
vergangenen drei Jahren reibungslos zusammengearbeitet habe. Er geht nicht
gegen Donald oder mich. Europa wäre leichter zu verstehen, wenn ein einziger
Kapitän am Steuer wäre.
Wenn wir nur einen Präsidenten hätten, würde das der wahren Natur
unserer Europäischen Union besser gerecht werden, da diese sowohl eine
Union der Staaten als auch der Bürger ist. Unsere Zukunft darf jedoch nicht
ein bloßes Szenario, ein Entwurf oder eine Idee unter vielen bleiben.
Wir müssen heute die Union von morgen vorbereiten.
Heute Morgen habe ich den Präsidenten Tajani und Tusk sowie den künftigen
Vorsitzenden der rotierenden Ratspräsidentschaft zwischen jetzt und März 2019
einen Fahrplan mit den künftigen Weichenstellungen vorgelegt.
Ein wichtiger Teil dieses Fahrplans werden die Pläne sein, die die Kommission im
Mai 2018 vorlegen wird und die gewährleisten sollen, dass der zukünftige EU-
Haushalt unseren Ambitionen gerecht wird und wir alle unsere Versprechen auch
einlösen können.
Am 29. März 2019 wird das Vereinigte Königreich die Europäische Union
verlassen. Das wird ein sehr trauriger und tragischer Moment sein, den wir immer
bedauern werden. Doch wir müssen den Willen des britischen Volkes respektieren.
Am 30. März 2019 werden wir somit eine Union der 27 sein. Wir sollten uns
auf diesen Moment gut vorbereiten, unter den 27 und innerhalb der EU-
Institutionen.
Die Wahlen zum Europäischen Parlament finden ein paar Wochen später statt, im
Mai 2019. Nur wenige Wochen später haben die Europäer also ein Rendezvous mit
der Demokratie. Sie haben Anspruch darauf zu wissen, wie sich die Europäische
Union in den kommenden Jahren entwickeln wird, wenn sie zur Wahlurne
schreiten, um ihre Stimme abzugeben.
Deshalb appelliere ich an Präsident Tusk und an Rumänien, das in der ersten
Jahreshälfte 2019 den Ratsvorsitz innehaben wird, am 30. März 2019 einen
Sondergipfel einzuberufen. Mein Wunsch ist, dass dieser Gipfel in der schönen
alten Stadt Sibiu stattfindet, die ich noch als Hermannstadt kenne. Das wäre der
Moment, um gemeinsam die Beschlüsse zu fassen, die für ein mehr geeintes,
stärkeres und demokratischeres Europa notwendig sind.