PRÄSIDENT JEAN-CLAUDE JUNCKER Rede zur Lage der Union 2017
Brüssel, 13. September 2017
Wir befinden uns nun im fünften Jahr eines Wirtschaftsaufschwungs, der endlich
in jedem Mitgliedstaat ankommt.
Das Wachstum der Europäischen Union hat das der Vereinigten Staaten in den
vergangenen zwei Jahren übertroffen. Es liegt nun – für die Union als Ganzes – bei
über 2 Prozent und für den Euroraum bei 2,2 Prozent.
Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie seit neun Jahren nicht mehr. Seit diese
Kommission im Amt ist, sind fast 8 Millionen Arbeitsplätze entstanden. Mit 235
Millionen Menschen, die einen Arbeitsplatz haben, sind in der Europäischen Union
mehr Menschen in Beschäftigung als jemals zuvor.
Dieser Erfolg ist nicht nur die Leistung der europäischen Kommission. Doch ich
bin sicher: Wären 8 Millionen Arbeitsplätze verloren gegangen, hätte man uns die
Schuld dafür in die Schuhe geschoben.
Aber die europäischen Institutionen haben ihren Teil dazu beigetragen, dass
sich der Wind gedreht hat.
Die Europäische Investitionsoffensive, die bis jetzt Investitionen im Wert von 225
Milliarden Euro freigesetzt hat, ist unsere Leistung. Damit wurden Darlehen an
mehr als 445 000 kleine und mittelständische Unternehmen vergeben und an mehr
als 270 Infrastruktur-Projekte.
All das führt mich zu der Überzeugung: Europa hat wieder Wind in den Segeln.
Uns öffnet sich jetzt ein Fenster der Möglichkeit. Aber es wird nicht ewig
offenbleiben.
Lassen Sie uns das Meiste aus diesem Schwung herausholen, lassen Sie uns
den Wind in unseren Segeln nutzen.
Dafür müssen wir zwei Dinge tun:
Erstens sollten wir auf dem Kurs bleiben, den wir im vergangenen Jahr
abgesteckt haben. Wir haben noch 16 Monate, in denen Parlament, Rat und
Kommission echte Fortschritte erzielen können. Diese Zeit müssen wir nutzen, um
das zu vollenden, womit wir in Bratislava begonnen haben und unsere positive
Agenda verwirklichen.
Zweitens sollten wir den Kurs für die Zukunft abstecken. Wie Mark Twain
schrieb: Jahre später werden wir mehr enttäuscht sein von den Dingen, die wir
nicht getan haben, als von den Dingen, die wir getan haben. Jetzt ist der Moment,
um ein mehr geeintes, stärkeres und demokratischeres Europa für das Jahr
2025 aufzubauen.
 
KURS HALTEN
Erstens möchte ich, dass wir unsere europäische Handelsagenda stärken.
Handel hilft uns dabei, unsere europäischen Standards im Sozial- und
Umweltbereich, beim Datenschutz oder bei der Lebensmittelsicherheit in die Welt
zu exportieren.
Europa war schon immer ein attraktiver Wirtschaftsstandort. Doch seit dem
vergangenen Jahr stelle ich fest, dass Partner aus der ganzen Welt Schlange
stehen, um Handelsabkommen mit uns abzuschließen.
Mit Hilfe des Europäischen Parlaments haben wir gerade ein solches
Abkommen mit Kanada besiegelt, (Anm: CETA!!) das ab kommender Woche
vorläufig angewandt wird. Mit Japan haben wir eine politische Einigung über eine
neue Wirtschaftspartnerschaft erzielt. Die Zeichen stehen gut, dass wir dies bis
Ende des Jahres auch mit Mexiko und verschiedenen südamerikanischen Ländern
erreichen können.
Und heute schlagen wir vor, Verhandlungen über Handelsabkommen mit
Australien und Neuseeland aufzunehmen.
Ich möchte, dass all diese Abkommen bis zum Ende dieser Amtszeit abgeschlossen
werden. Und ich möchte, dass die Verhandlungen mit größtmöglicher Transparenz
geführt werden.
Offener Handel muss Hand in Hand gehen mit einem transparenteren
politischen Entscheidungsprozess.
Das Europäische Parlament wird bei allen Handelsabkommen das letzte Wort
haben. Die Europaabgeordneten – ebenso wie die der nationalen und regionalen
Parlamente – müssen vom ersten Tag der Verhandlungen an umfassend informiert
sein. Dafür wird die Kommission sorgen.
Künftig veröffentlicht die Kommission Entwürfe der Verhandlungsmandate, die
dem Rat vorgelegt werden, in vollem Umfang.
Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf zu wissen, was die Kommis-
sion vorschlägt. Schluss mit der Intransparenz, Schluss mit den Gerüchten und den
Unterstellungen, die der Kommission immer wieder gemacht werden. Ich fordere
den Rat auf, ebenso zu handlen und die endgültigen Verhandlungsmandate zu
veröffentlichen.
Lassen Sie es mich ein für alle Mal sagen: Wir sind keine naiven Freihändler.
Europa muss immer seine strategischen Interessen verteidigen.
Deshalb schlagen wir heute einen neuen Europäischen Rahmen zur
Überprüfung von Investitionen vor, ein „Investment Screening", wie es so
schön auf Englisch heißt. Wenn ein ausländisches Staatsunternehmen die Absicht
hat, einen europäischen Hafen, einen Teil unserer Energie-Infrastruktur oder ein
Unternehmen im Bereich der Verteidigungstechnologie zu übernehmen, dann
sollte dies in aller Transparenz sowie nach eingehender Prüfung und Debatte
geschehen. Es ist eine Frage der politischen Verantwortung, dass wir wissen, was
vor unserer eigenen Haustür passiert, so dass wir unsere kollektive Sicherheit
schützen können, wenn es sein muss.
Drittens möchte ich, dass Europa führend ist, wenn es darum geht, den
KLIMAWANDEL  zu bekämpfen.
Vierte Priorität für das kommende Jahr: Wir werden die Europäerinnen und
Europäer im DIGITALE ZEITALTER besser schützen.
In den vergangenen drei Jahren haben wir die Online-Sicherheit der europäischen
Bürgerinnen und Bürger erfolgreich verbessert. Die Kommission hat neue
Vorschriften auf den Weg gebracht, um unser geistiges Eigentum, unsere kulturelle
Vielfalt und unsere personenbezogenen Daten zu schützen. Wir bekämpfen
verstärkt terroristische Propaganda und Radikalisierung im Internet. Was
Cyberangriffe angeht, ist Europa allerdings noch nicht gut genug gerüstet.
CYBERANGRIFFE können unter Umständen gefährlicher sein für die
Stabilität von Staaten und Unternehmen als Panzer und Gewehre. Allein im
vergangenen Jahr wurden täglich mehr als 4000 Angriffe mit Schadprogrammen
ver-eichnet, und in 80 Prozent aller europäischen Unternehmen kam es zu
mindestens einem Cybersicherheitsvorfall.
Cyberangriffe kennen keine Grenzen, und keiner ist immun. Deshalb schlägt die
Kommission heute neue Instrumente und eine neue EU-Agentur für Cyber-
sicherheit vor – diese soll uns in Zukunft besser vor solchen Angriffen schützen.
Fünftens: Die MIGRATION bleibt auf unserem Radarschirm. Obwohl die
Fragen im Bereich Migration oft zu Debatten und Auseinandersetzungen
geführt haben, haben wir in vielen Bereichen soliden Fortschritt gemacht –
wenn auch noch nicht genug.
Wir schützen die Außengrenzen Europas mittlerweile wirksamer. Mehr als
1700  Beamte der neuen Grenz- und Küstenwache unterstützen nun die 100 000
nationalen Grenzschützer der Mitgliedstaaten und patrouillieren in Griechenland,
Italien, Bulgarien und Spanien. Wir haben gemeinsame Grenzen, aber die Staaten,
die wegen ihrer geografischen Lage die erste Anlaufstelle sind, dürfen nicht allein
für den Grenzschutz verantwortlich sein. Gemeinsame Grenzen und gemeinsamer
Grenzschutz gehören zusammen.
Es ist uns gelungen, die irregulären Ankünfte von Migranten, die Menschen in
vielen Ländern Angst gemacht haben, in den Griff zu bekommen. Die Zahl der
Geflüchteten, die über das östliche Mittelmeer kamen, haben wir dank unseres
Abkommens mit der Türkei um 97 Prozent gesenkt.  So haben wir die Zahl der
Todesfälle im Mittelmeer drastisch gesenkt. Tragischerweise sind in diesem
Jahr dennoch fast 2500 Menschen dort gestorben. Ich werde mich nie damit
abfinden, dass Menschen im Meer ertrinken..
Wir müssen auch dringend die Lebensumstände der Flüchtlinge in Libyen
verbessern. Ich bin schockiert von den unmenschlichen Bedingungen in Auffang-
oder Aufnahmelagern. Europa hat hier eine gemeinschaftliche Verantwortung. Und
die Kommission wird in enger Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen
handeln, um dieser skandalösen Situation, die nicht länger andauern darf, ein Ende
zu setzen.
Auch wenn es mich betrübt, dass die Solidarität nicht in all unseren Mitglied-
staaten gleich stark ausgeprägt ist, hat Europa als Ganzes weiterhin Solidarität
gezeigt. Allein im vergangenen Jahr haben unsere Mitgliedstaaten mehr als
720.000 Flüchtlingen Asyl gewährt oder sie neu angesiedelt – drei Mal mehr als
die Vereinigten Staaten, Kanada und Australien zusammen. Europa ist – anders
als viele behaupten – keine Festung und es darf niemals eine werden. Europa
ist und bleibt der Kontinent der Solidarität, auf dem diejenigen Schutz
finden, die vor Verfolgung geflohen sind
Besonders stolz bin ich auf die jungen Europäerinnen und Europäer, die sich
freiwillig melden, um syrischen Flüchtlingen Sprachunterricht zu geben, und auf
Tausende andere junge Menschen, die Teil unseres neuen Europäischen
Solidaritätskorps sind. Sie verleihen dem Grundsatz der europäischen
Solidarität Leben.
Zum Thema Rückführungen – Menschen, die kein Recht haben, in Europa zu
bleiben, müssen in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Angesichts der Tatsache,
dass nur 36 Prozent der irregulären Migranten rückgeführt werden, wird klar, dass
es hier verstärkter Anstrengungen bedarf. Dies ist die einzige Möglichkeit für
Europa, sich solidarisch mit jenen Flüchtlingen zu zeigen, die wirklich
schutzbedürftig sind.
Wir können Solidarität nicht nur innereuropäisch verstehen, sondern es geht
auch um mehr Solidarität mit Afrika –. Afrika ist ein erhabener Kontinent
mit einer jungen Bevölkerung. Es ist die Wiege der Menschheit. Unser 2,7
Milliarden Euro schwerer EU-Treuhandfonds für Afrika schafft dort überall
Beschäftigungsmöglichkeiten. Doch während der Großteil des Geldes aus dem
EU-Haushalt stammt, haben all unsere Mitgliedstaaten zusammen gerade einmal
150 Millionen Euro beigesteuert. Momentan stößt der Fonds an seine Grenzen.
Wir werden auch daran arbeiten, legale Einreisemöglichkeiten zu eröffnen.
Irreguläre Migration hört erst dann auf, wenn es eine echte Alternative zu
lebensgefährlichen Reisen gibt. Wir haben fast 22 000 Flüchtlinge aus der Türkei,
Jordanien und Libanon neu angesiedelt, und ich unterstütze den Aufruf des Hohen
Kommissars der Vereinten Nationen, Grandi, weitere 40 000 Flüchtlinge aus
Libyen und den benachbarten Ländern neu anzusiedeln. Außerdem ist Europa ein
alternder Kontinent, ein Grund mehr, weshalb wir ein System der legalen
Migration brauchen. Daher hat die Kommission Vorschläge gemacht, um
Migranten den Zugang zur Blauen Karte zu erleichtern und ich danke dem
Parlament für Ihre Unterstützung unseres Vorschlags. Ich plädiere für eine
ehrgeizige und schnelle Einigung bei diesem wichtigen Vorhaben.
EINE UNION DER WERTE 
Europa ist zunächst eine Union der Freiheit. Damit meine ich die Freiheit von
Unterdrückung und Diktatur – Phänomene, die unser Kontinent, vor allem Mittel-
und Osteuropa leider nur allzu gut kennt. Ich meine die Freiheit, die eigene
Meinung zu sagen, als Bürger und als Journalist – eine Freiheit, die wir allzu oft
als Selbstverständlichkeit empfinden. Auf diesen Freiheits-Werten wurde unsere
Union aufgebaut. Freiheit fällt nicht vom Himmel. Wir müssen für sie kämpfen. In
Europa. In der Welt.
Zweitens muss Europa eine Union der Gleichberechtigung sein.
Das bedeutet Gleichberechtigung ihrer Mitglieder – ob groß oder klein, ob im
Osten oder Westen, ob im Norden oder Süden. Europa reicht von Vigo bis Varna,
von Spanien bis nach Bulgarien. Europa muss mit beiden Lungenflügeln
atmen, mit dem östlichen und dem westlichen. Ansonsten unser Kontinent in
Atemnot gerät.
In einer Union der Gleichen kann es keine Bürger zweiter Klasse geben. Es ist
nicht hinnehmbar, dass auch 2017 noch Kinder an Krankheiten sterben, die in
Europa schon längst ausgerottet sein müssten. Kinder in Rumänien oder Italien
sollten gleichermaßen Zugang zu Masernimpfstoffen haben wie Kinder in allen
anderen Ländern Europas. Ohne Wenn und Aber. Deshalb arbeiten wir mit allen
Mitgliedstaaten zusammen, um ihre nationalen IMPMAßNAHMEN zu unter-
stützen. Vermeidbare Todesfälle darf es in Europa nicht geben.
In einer Union der Gleichen kann es keine ARBEITNEHMER zweiter Klasse
geben. Menschen, die die gleiche Arbeit am gleichen Ort verrichten, sollten
das gleiche Gehalt bekommen. Diesem Ziel dienen die Kommissionsvorschläge
zur Entsendung von Arbeitskräften. Wir sollten sicherstellen, dass alle EU-Vors-
chriften zur Mobilität von Arbeitskräften auf gerechte, einfache und wirksame Art
und Weise durchgesetzt werden – und zwar mit Hilfe einer neuen europäischen
Aufsichts- und Umsetzungsbehörde. Es erscheint absurd, dass eine Bankenauf-
sichtsbehörde darüber wacht, ob Bankenstandards eingehalten werden, dass es aber
keine gemeinsame Arbeitsbehörde gibt, die für Fairness innerhalb des
Binnenmarkts sorgt. Wir werden sie schaffen.
In einer Union der Gleichen kann es keine Verbraucher zweiter Klasse
geben. Ich werde nicht akzeptieren, dass den Menschen in manchen Teilen
Europas qualitativ schlechtere Lebensmittel verkauft werden als in anderen,
obwohl Verpackung und Markenkennzeichnung identisch sind. Slowaken haben
nicht weniger Fisch in Fischstäbchen verdient, Ungarn nicht weniger Fleisch in
Fleischgerichten oder Tschechen weniger Kakao in der Schokolade. Das EU-Recht
verbietet solche Praktiken schon jetzt. Nun müssen wir die nationalen Behörden
mit umfassenderen Befugnissen ausstatten, sodass sie flächendeckend gegen die
illegalen Praktiken vorgehen können.
Drittens: In Europa ist die Stärke des Rechtes an die Stelle des Rechts des
Stärkeren getreten. Das bedeutet, dass Recht und Gesetz durch eine unabhängige
Justiz gewahrt werden.
Teil einer Union zu sein, die auf Rechtsstaatlichkeit beruht, heißt auch, rechts-
kräftige Urteile zu akzeptieren und zu respektieren. Die Mitgliedstaaten haben dem
Europäischen Gerichtshof die Befugnis übertragen, in letzter Instanz zu entschei-
den. Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs sind in allen Fällen zu respek-
tieren. Sie nicht zu respektieren oder die Unabhängigkeit nationaler Gerichte zu
untergraben, heißt, die Bürgerinnen und Bürger ihrer Grundrechte zu berauben.
Rechtsstaatlichkeit ist in der Europäischen Union keine Option. Sie ist
Pflicht. Unsere Union ist kein Staat, aber sie ist ein Rechtsstaat.
EINE MEHR GEEINTE UNION
Freiheit, Gleichberechtigung und Rechtsstaatlichkeit – diese drei Grundsätze
müssen das Fundament sein, auf dem wir eine stärkere, mehr geeinte und
demokratischere Union aufbauen.
Wenn wir über unsere Zukunft reden, dann sagt mir meine Erfahrung, dass neue
Verträge und neue Institutionen für die Menschen nicht die Antwort sind,
nach der sie suchen. Ich bin an institutionellen Reformen nur interessiert, wenn sie
zu mehr Effizienz der Union führen.
Statt Zuflucht in künftigen Vertragsänderungen – die irgendwann kommen
müssen – zu suchen, müssen wir uns zunächst von der Vorstellung verab-
schieden, dass einige verlieren müssen, damit andere gewinnen können. In der
Demokratie geht es um Kompromisse.
Um ihre Einheit zu stärken, muss die Europäische Union auch inklusiver werden.
Wenn wir den Schutz unserer Außengrenzen verstärken wollen, dann
müssen wir Rumänien und Bulgarien unverzüglich den Schengen-Raum
öffnen. Wir sollten auch Kroatien die volle Schengen-Mitgliedschaft ermöglichen,
sobald es alle Kriterien erfüllt.
Wenn wir wollen, dass der Euro unseren Kontinent mehr eint als spaltet,
dann sollte er mehr sein als die Währung einer ausgewählten Ländergruppe.
Der Euro ist dazu bestimmt, die einheitliche Währung der Europäischen
Union als Ganzes zu sein. Alle außer zwei Mitgliedstaaten sind verpflichtet und
berechtigt, dem Euroraum beizutreten, sobald sie alle Bedingungen erfüllen.
Doch die Mitgliedstaaten, die dem Euroraum beitreten mochten, müssen dies auch
tun können. Deshalb schlage ich die Schaffung eines Euro-Beitrittsinstrumen-
tes vor, das ihnen technische, manchmal auch finanzielle Heranführungshilfen
bietet.
Wenn wir wollen, dass Banken überall auf unserem Kontinent nach den-
selben Regeln und unter derselben Aufsicht arbeiten, dann sollten wir alle
Mitgliedstaaten ermutigen, der Bankenunion beizutreten. Die Bankenunion
muss unverzüglich vollendet werden. Dazu müssen wir die verbleibenden Risiken
in den Bankensystemen mancher Mitgliedstaaten verringern.
Die Bankenunion funktioniert nur wenn die Begrenzung und das Teilen von
Risiken Hand in Hand gehen. Um dies tun zu können, – das weiß jeder –,
müssen Vorbedingungen erfüllt werden, so wie es die Kommission im November
2015 vorgeschlagen hat. Eine gemeinsame Einlagensicherung kann es nur dann
geben, wenn jeder seine nationalen Hausaufgaben erledigt.
Wenn wir der sozialen Fragmentierung und dem Sozialdumping in Europa ein
Ende setzen wollen, sollten die Mitgliedstaaten sich so schnell wie möglich, und
spätestens beim Göteborg-Gipfel im November, auf die europäische Säule
sozialer Rechte einigen. Nationale Sozialsysteme werden noch lange unterschied-
lich und eigenständig bleiben. Doch wir sollten uns zumindest für eine Europäi-
sche Union der Sozialstandards stark machen, in der es einen Konsens darüber
gibt, was in unserem Binnenmarkt sozial fair und sozial unfair ist.
Damit Europa gelingt, darf es den Arbeitnehmern nicht die kalte Schulter zeigen.
Wenn wir mehr Stabilität in unserer Nachbarschaft wollen, müssen wir eine
glaubhafte Erweiterungsperspektive für den westlichen Balkan aufrecht-
erhalten.
Während dieses Kommissions- und Parlamentsmandates kann es keine neuen
Mitglieder geben, weil die Beitrittsbedingungen noch nicht erfüllt werden können.
Doch die Europäische Union wird in den darauffolgenden Jahren mehr als 27 Mit-
glieder zählen. Bei allen Beitrittsländern haben Rechtsstaatlichkeit, Justiz und
Grundwerte oberste Priorität.
Das schließt eine EU-Mitgliedschaft der Türkei in absehbarer Zukunft aus.
Die Türkei entfernt sich seit geraumer Zeit mit Riesenschritten von der Europäi-
schen Union. Journalisten gehören in Redaktionsstuben, in denen freie Meinungs-
äußerung gilt. Sie gehören nicht ins Gefängnis.
Ich appelliere heute an die Verantwortlichen in der Türkei: Lassen Sie unsere
Journalisten frei, und nicht nur unsere Journalisten. Hören Sie auf, unsere
Mitgliedstaaten und unsere Staats-und Regierungschefs als Faschisten und
Nazis zu beschimpfen. Europa ist ein Kontinent reifer Demokratien. Wer belei-
digt, verbaut sich Wege. Manchmal habe ich den Eindruck, einige in der Türkei
möchten sich Wege verbauen, um dann später die Europäische Union für das
eventuelle Scheitern der Beitrittsgespräche haftbar machen zu können.
Von unserer Seite wird immer eine Hand ausgestreckt bleiben für das große
türkische Volk und all jene, die bereit sind, auf der Grundlage unserer Werte mit
uns zusammenzuarbeiten.
Ich will, dass der Binnenmarkt gestärkt wird.
Ich möchte, dass wir in wichtigen Binnenmarktfragen öfter und einfacher im Rat
mit qualifizierter Mehrheit entscheiden unter gleichberechtigter Mitwirkung des
Europäischen Parlaments. Dazu brauchen wir keine Vertragsänderungen. Die
derzeitigen Verträge enthalten sogenannte„Brückenklauseln“, die es
ermöglichen, in bestimmten Feldern – vorausgesetzt der Europäische Rat
entscheidet dies einstimmig – mit qualifizierter Mehrheit statt einstimmig zu
entscheiden.
Ich bin dafür, bei Beschlüssen über die gemeinsame konsolidierte Körper-
schaftsteuer-Bemessungsgrundlage, über die Mehrwertsteuer, über eine faire
Besteuerung der Digitalwirtschaft und über die Finanztransaktionssteuer die
Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit einzuführen. Europa muss
schneller und effizienter entscheiden können.
EU-Kommissionspräsident Juncker will außerdem den ESM schrittweise zu
einem Europäischen Währungsfonds ausbauen und einen EU-Finanz-
minister...
Weiters plädiert er für gemeinsame Terrorbekämpfung und die Schaffung einer
EU-Aufklärungseinheit sowie eine EU-Staatsanwaltschaft ...
Juncker will weiters im Verteidigungsbereich eine EU-Militär. Weiters verspricht
er, dass sich die EU künftig auf die wirklich wichtigen Dinge konzentrieren und
unsinnige Regelungen meiden will. Dazu soll eine Task Force Subsidiarität und
Verhältnismäßigkeit eingesetzt werden. Er plädiert weiters für mehr Demokratie,
schlägt aber gleichzeitig vor das Amt des Ratspräsidenten aufzulösen ...
  
Auszug aus der Rede von Jean-Claude JUNCKER am 13.9.2017
Quelle und gesamte Rede: http://europa.eu/rapid/press-release_SPEECH-17-3165_de.htm