Luftkriege
Man braucht kein Fachmann zu sein, um zu erkennen, dass politische Ziele im
Sinne von humanitärer Intervention mit Luftkrieg allein nicht zu erreichen sind. Ein
guter General verlässt sich nie auf eine Waffe allein, schrieb der chinesische
Militärphilosoph Sun Tzu 500 v.Chr. Die Amerikaner haben seine Weisheit nach
dem Vietnamkrieg (1965-1972) in ihre Militärdoktrin aufgenommen. Sie wurde von
allen NATO Staaten übernommen. Der Terminus Technikus ist „Jointness“. Heer,
Luftwaffe und Marine untersuchen das politische Ziel immer gemeinsam und
überlegen, wie sie es im Zusammenwirken erreichen können. Jointness in einer
humanitären Intervention verlangt immer „boots on the ground“, das heißt eigene
Bodentruppen im Konfliktgebiet. Nur sie sind fähig, Bevölkerung effektiv zu
schützen und humanitär zu wirken.
Weder bei “Allied Force” noch bei “Unified Protector” wurden NATO Boden-
truppen eingesetzt. Die Gründe dafür sind leicht nachzuvollziehen. Größere
Formationen von NATO Kampftruppen in den Einsatz zu schicken und zu ver-
sorgen ist aufwendig und teuer. Im schlimmsten Fall werden sie in Kriegshand-
lungen hineingezogen und erleiden Verluste. In einer Demokratie sind solche
Einsätze nur schwer durchzusetzen geschweige denn durchzuhalten.
In unserer Technik gläubigen Gesellschaft sind Luftwaffen sehr attraktiv. Man kann
mit ihnen relativ risikolos und öffentlichkeitswirksam militärische Gewalt ausüben.
Dabei vergisst man, dass Präzisionswaffen zwar sehr genau treffen aber durch
Fehlwürfe und Flächenwirkung der Detonation immer wieder auch unschuldige
Zivilisten verletzen und töten („Kollateralschäden“).
Im Luftkrieg um den Kosovo kamen auf diese Weise 600 Menschen ums Leben.
“Darauf können wir stolz sein”, stellte der damalige NATO Luftwaffenkommandeur
US General Short fest. Im numerischen Vergleich zum 2. Weltkrieg und Vietnam ist
seine Feststellung richtig. Wenn wir jedoch unseren Anspruch ernst nehmen, um
der Humanität Willen militärisch intervenieren zu dürfen, hat er Unrecht. Jeder
Unschuldige, der durch NATO Bomben getötet wird, stellt nicht nur die gute
Absicht in Frage, sondern gefährdet nachhaltig den Erfolg der Mission.
Auch wenn Kriegsvölkerrechtler das begrenzte Töten und Verwunden von
Zivilisten durch Bombardierungen für legal erklären, ist das Bomben für Humanität
unmoralisch. Man bringt die um, die man vorgegeben hat, schützen zu wollen.
Ob die Alternativen, die Professor Dörner in seinem Zitat aufstellt, entscheidbar
sind, sei dahingestellt. Feststeht, dass humanitäre Interventionen einer guten
Absicht entspringen. Fest steht auch, dass sie durch Luftkriegsoperationen allein
nicht erfolgreich sein können.
Die Gründe sind den Entscheidern bekannt. Wenn trotzdem aus Gründen der
Humanität gebombt wird, dann ist das nicht nur dumm, sondern in Anbetracht der
Konsequenzen für die betroffene Bevölkerung eine Katastrophe. Das Leiden wird
auf unbestimmte Zeit noch verschlimmert. Wer weiß - wenn zu den guten Absich-
ten Intelligenz hinzukäme, vielleicht käme man zu dem Schluss, dass das nicht-
militärische Intervenieren die einzig humane Lösung ist.
Geopolitische Interessen
Die Scheinheiligkeit der sogenannten „Humanitarian Intervention“ und
„Responsibility to Protect“ wird besonders deutlich, wenn klar wird, dass die „im
Auftrag der Internationalen Gemeinschaft“ kriegführenden Staaten handfeste
nationale Interessen verfolgen. Man könnte sie als Interessenmonster bezeichnen.
Nur die USA bekennen sich offen dazu. In der National Security Strategy 2010 ihres
Präsidenten Obama heißt es auf Seite 22 unter „Use of Force“: The United States
must reserve the right to act unilaterally if necessary to defend our nation and our
inter¬ests … (Die USA nimmt sich das Recht heraus, auch auf eigene Faust zu
handeln, um das Land und seine Interessen zu verteidigen …).
Nun sind Interessen nichts Böses. Jeder Staat hat Interessen. Dazu gehören zum
Beispiel die Verhinderung von Flüchtlingsmigrationen als Folge von Bürger-
kriegen, der freie Zugang zu den Energieressourcen dieser Welt und sichere
Handelswege. Entscheidend ist, wie ein Staat seine Interessen wahrnimmt.
UNO-Charta
In dieser Frage herrscht seit 1945 weitverbreitete Schizophrenie auf der Welt.
Einerseits gilt sinngemäß bis heute der berühmte Clausewitzsatz. Krieg ist ein
Mittel der Politik und unter bestimmten Voraussetzungen gerechtfertigt.
Andererseits verbietet die Charta der Vereinten Nationen den Krieg und
verpflichtet die Mitgliedsstaaten zur friedlichen Konfliktlösung.
Wenn ein Land angegriffen wird, darf es sich militärisch verteidigen (UN Charta
Art. 51), muss aber den Angriff dem Sicherheitsrat melden.
Dieser trifft dann die geeigneten Maßnahmen, um den Frieden wieder herzustellen,
entweder durch friedliche Vermittlung (UN Charta Art. 6) oder durch Zwangsmaß-
nahmen einschließlich dem Einsatz von Waffengewalt (UN Charta Art. 7).
Jeder der 5 ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat kann eine Entscheidung durch
Veto blockieren. Das wurde bisher als Lähmung der UN empfunden, und man hat
Reformen gefordert.
Vielleicht braucht es aber gar keine, sondern nur eine Neubesinnung. Dabei könnte
das Veto-Recht dem Unwesen der Interessenmonster ein Ende machen und
entscheidend zum Weltfrieden beitragen.
Die zwei größten Bedrohungen, Terrorismus und das Streben nach Besitz von
Massenvernichtungswaffen, könnte man nämlich in einer Kausalität zu Interessen-
monster sehen. Wer die Bombe hat, ist vor ihrer militärischen Intervention sicher
(siehe Verhalten Nordkorea and Iran), und Terrorismus ist die Waffe der
Ohnmächtigen im Angesicht übermächtiger Interessenmonster.
Eine Neubesinnung in der UN sollte sich daher auf zwei Ziele konzentrieren:
Vertrauensbildung und Schutz von Leben.
Die wichtigsten Bausteine dazu sind:
-  Souveränität der Mitgliedsstaaten
-  Staatsform darf kein Dogma sein
-  Internationales Recht gilt für alle
-  USA erkennen den Internationalen Gerichtshof sowie Strafgerichtshof an
-  Strategische Partnerschaften der Staaten des Sicherheitsrates mit Krisenstaaten
-  Keine Unterstützung für Bürgerkriegsparteien
-  Bei Art. 7 Einsätzen keine tödliche Gewaltanwendung
Auf diese Weise besteht die Chance, dass die Angst voreinander aus dem System
verschwindet und aus Interessenmonster Interessenpartner werden.
Quelle und gesamter Artikel: http://www.kamus-quantum.com/19.html