Fundamentale Merkmale des Konservatismus wie die Vorrangigkeit von Familie,
Heimat, Staat und Nation sowie die Betonung von Religion sind auch dem
Neokonservatismus eigen. Er unterscheidet sich jedoch von anderen Formen des
tradierten Konservatismus (oder Konservativismus) in zentralen Punkten, weil
neokonservative Theoretiker das Verhältnis von Freiheit und Ordnung bzw.
Überlieferung und Fortschritt anders gewichten.
Der Neokonservatismus strebt nach aktiver Veränderung, statt nach reinem
Festhalten an Vergangenem, und wird deshalb gelegentlich auch als „Neue
konservative Revolution“ (New Conservative Revolution) bezeichnet.
Die Weltsicht vieler Neokonservativer wird durch Francis Fukuyamas Theorem
vom „Ende der Geschichte“ geprägt: Die marktwirtschaftlich organisierte
Demokratie westlichen Musters habe sich demzufolge als quasi endgültiges
gesellschaftliches Konstrukt weltweit geschichtlich durchgesetzt. Gleichzeitig
bestünden überkommene oder neu belebte Konflikte fort (vgl. u. a. Samuel P.
Huntington und dessen These vom „Clash of Civilizations“, dem „Kampf der
Kulturen“), denen man sich offensiv, notfalls militärisch stellen müsse. Allerdings
sei bei dem weltweit angestrebten und von Vertretern des Neokonservatismus
postulierten „Übergang zum demokratischen Kapitalismus“ die Frage der
Vorherrschaft im „westlichen Lager“ selbst zu klären, weil es hier europäisch-
amerikanische Gegensätze gebe. Fukuyama distanziert sich von der Realpolitik der
Neokonservativen. Er kritisierte z. B. den Irakkrieg der neokonservativ geprägten
Bush-Regierung und nannte ihn „leninistisch“.
Der Neokonservatismus gewann in der Person führender Politiker wie Paul Wolfo-
witz oder Richard Perle prägenden Einfluss auf die Grundzüge der amerikanischen
Außenpolitik unter George W. Bush 2001 bis 2009. Diese Politiker und Intellek-
tuellen gelten wegen ihrer Befürwortung militärischer Konfliktregulierung oftmals
als Hardliner („Falken“) und werden als Architekten eines interventionistischen
Unilateralismus der USA angesehen.
Vielfach wird auch ein „imperiales Projekt“ dieser Kreise ausgemacht, das die US-
amerikanische Hegemonie in der Welt sichern und internationale Organisationen
als Garanten des Weltfriedens entweder ablösen oder – sozusagen unter US-
„Schirmherrschaft“ – umfassend transformieren will. Diese hegemoniale Vision
gilt manchen aufgrund ihrer tiefgreifenden Implikationen als kaum durchsetzbar,
zumal sie – historisch gesehen – in Anspruch und Ausmaß den bislang wohl
weitreichendsten Entwurf einer „Neuen Weltordnung“ (George Bush Senior)
darstellt.