Alexander Litwinenko war ein KGB-Agent und FSB-Offizier sowie Putin-Kritiker und
Buchautor. Er starb am 23. November 2006 an den Folgen einer durch Polonium
verursachten Strahlenkrankheit. Von westlichen Medien, wie auch von Litwinenko selbst
wurden Moskau und Putin für die Vergiftung verantwortlich gemacht, in Russland
wiederum gab es eine weit verbreitete Theorie, dass eine andere Täterschaft bewusst den
Verdacht auf Putin lenken wollte.
Belkowski schreibt dazu folgendes: “Ja, wir haben die Geschichte vom Polonium und den
blutrünstigen Giftmischern der Russischen Föderation schon millionenfach gehört. Aber
warum denkt niemand darüber nach, dass Herr Litwinenko eng mit den spanischen
Behörden zusammenarbeitete und gegen einige parakriminelle Partner von
Patarkazischwili vor Gericht aussagen wollte? Warum?“ (Belkowski*, S. 124)
„Der ehemalige Major des russischen Geheimdienstes und Offizier des Personenschutzes
von Boris Beresowski, Alexander Litwinenko, starb Ende November 2006 in einer
Londoner Klinik nach einer Vergiftung mit radioaktivem Material – Polonium. Viele
verdächtigten den Ex-Offizier der Kreml-Garde Andrei Logowoi der unmittelbaren
Vorbereitung des Verbrechens; er war in der ersten Hälfte der 1990-er Jahre Beresowskis
Leibwächter gewesen.
Sowohl in Russland als auch im Westen verbreitete sich augenblicklich die Auffassung,
die russischen Geheimdienste stünden hinter dem Mord – die allmächtige Lubjanka, die
sich für Litwinenkos „Verrat“, sein Überlaufen auf die Seite des damals längst in Ungnade
gefallenen Beresowski und für seine Flucht nach Großbritannien, hätte rächen wollen.
Diese Version ist bis zum heutigen Tag aktuell und wird von dem Umstand erhärtet, das
Lugowoi bald nach Litwinenkos Tod als Hätschelkind der russischen Macht galt, da er
2007 Abgeordneter und 2008 sogar Vize-Sprecher der Staatsduma wurde, der ersten
Kammer des russischen Parlaments.
Aber es gibt dabei auch noch einige auffallende Widersprüche und Unstimmigkeiten.
Erstens wurde Major Litwinenko – das sage ich in voller Überzeugung – von der
Lubjanka nie übermäßig ernst genommen. Man hielt ihn weder für gefährlich noch für
schädlich. Zwar war er ein zorniger und umtriebiger Mensch, aber nicht sonderlich helle.
Zweitens ist die Mordwaffe merkwürdig – Polonium. Es hinterließ Spuren an vielen Orten
von London, einschließlich de Sushi-Bar Itsu, wo sich Litwinenko in November 2006 mit
Lugowoi und dessen Partner Juri Kowtun traf. Sehen so etwa heutzutage Vergiftungen
aus? Die Geheimdienste bedienen sich normalerweise nicht nachweisbarer Gifte, die beim
Opfer einen schweren Infarkt ode Schlaganfall hervorrufen. In solchen Fällen ist es sogar
für erfahrene Spezialisten in den besten Labors einigermaßen schwer, die wahre
Todesursache festzustellen. Das altertümliche Polonium wurde jedoch benutzt, um erst
recht die Aufmerksamkeit auf das Verbrechen zu lenken und deutlich auf den
Auftraggeber hinzuweisen – die Geheimdienste. Als angeblich abgeschriebenes
radioaktives Material, das schreckliche grüne Spuren hinterlässt, hergestellt in
irgendeinem Geheimbetrieb im tiefen Russland.
Drittens ist vielen aufgefallen, dass Andrei Lugowoi 2006 immer noch eine private
Überwachungsstruktur leitete, die in ziemlich enger Verbindung zum einflussreichen
jüdischen Geschäftsmann georgischer Abstammung Badri (Arkadi) Patarkazischwili steht
– dem Partner von Boris Beresowski, der sich ebenfalls zu diesem Zeitpunkt in London
niederließ. Patarkazischwili (der im Februar 2008 starb) unterhielt seinerseits engen
Kontakt mit einigen georgischen kriminellen Autoritäten, die von den spanischen
Behörden der Geldwäsche und des ungesetzlichen Erwerbs von Immobilien in ihrem
Land beschuldigt wurden.
Viertens arbeitete Litwinenko mit den Rechtsorganen Spaniens zusammen. Das wurde
auch von spanischer Seite zugegeben. Und er hatte vorgehabt, gegen jene kriminelle
Autoritäten vor Gericht auszusagen. Die Aussage des ehemaligen Majors de Ludbjanka
hätte Patarkazischwilis Freunden und Geschäftspartnern das Leben erheblich erschweren
und ihre Haftstrafen verlängern können.
Es ergibt sich also im Ganzen ein recht interessantes Puzzle mit vielen verschiedenen
Elementen – ein reich gedeckter Tisch für die unterschiedlichsten Hypothesen. Nur unser
Held Wladimir Putin tritt im Zusammenhang mit dem Mord an Litwinenko nicht in
Erscheinung. Schaut man genau hin und urteilt logisch und gibt man sich nicht den
augenblicklichen gesellschaftspolitischen Emotionen hin, kann man auch nicht die
geringste Spur seiner Beteiligung an dieser seltsamen Polonium-Vergiftung entdecken.“
(Belkowski*, S.280 ff.)
Anna Stepanowa Politkowskaja wurde am 7. Oktober 2006 (genau am 54. Geburtstag
von Vladimir Putin) vor ihrer Wohnung in Moskau ermordert. Sie war eine russisch-
amerikanische Reporterin, Autorin und Aktivistin für Menschenrechte und wurde durch
Reportagen und Bücher über den Krieg in Tschetschenien, über Korruption im russischen
Verteidigungsministerium und dem Oberkommando der Streitkräfte in Tschetschenien
bekannt. Ihre Ermordung erregte großes Internationales Aufsehen.
Belkowski macht vor allem das tschetschenische Staatsoberhaupt Ramsan Kadyrow für
ihren Tod verantwortlich. Er begründet dies folgendermaßen: „(Die Journalistin) der
Nowaja gaseta hatte sich in den letzten Jahren vor allem mit der Untersuchung von
Verbrechen in Tschetschenien und im Tschetschenien-Krieg befasst. Wichtiges Objekt
ihrer Untersuchung war das tschetschenische Staatsoberhaupt Ramsan Kadyrow
gewesen. Dieser ist heute einer der Schlüsselfiguren in der russischen Politik (darunter
der gesamtnationalen, nicht nur der kaukasischen). Damals war er neu in seiner
Führungsposition und hatte mit Schweiß und Blut (im direkten wie übertragenen Sinne)
versucht, in die Fußstapfen seines Vaters Achmat Kadyrow zu treten (….)
Kurz vor Politkowskajas Tod bestellte Kadyrow ein Rechtsgutachten über die Möglichkeit
einer gerichtlichen Verfolgung der Journalistin aufgrund von Diffamierung und
Verleumdung des jungen tschetschenischen Staatsoberhauptes. Von einer juristischen
Firma bekam er eine negative Antwort: Offiziell und streng im Rahmen des Gesetzes sei
es nicht möglich, die Beleidigerin zu belangen.
Im Weiteren wurde bekannt, dass Anna Politkowskaja 2005/2006 viel mit Kadyrow-
Gegnern in Tschetschenien und Umgebung verkehrte. Dabei deckte sie einige Namen von
Personen auf, die versuchten, Ramsan loszuwerden, und zwar um selbst seinen Platz
einzunehmen. Das konnte der brutalste Lenker des russischen Kaukasus seinen Gegnern
nicht verzeihen. Diese wiederum hatten allen Grund, Frau Politkowskaja wegen ihrer
unnötigen Offenheit und ungehemmten Verbreitung von Informationen zu grollen. Und
das umso mehr, als im Nordkaukasus die Blutrache bevorzugtes Mittel zur Klärung von
Beziehungen und Konfliktlösungen darstellt.“ (Belkowski*, S. 278 ff.)