Sicherlich hat diese persönliche Wertschätzung, die der Oligarch aufgrund dieser
Erlebnisse  für Putin hegte, sehr dazu beigetragen, dass sich der „Königsmacher“
Beresowski  sehr für Putin einsetzte, als es darum ging, einen Nachfolger für Boris
Jelzin zu finden. Auch hier zeigen seine Schilderungen, dass Putin keinesfalls ein
„Machtmensch“ ist, der aus eigenem Ehrgeiz  diese Stellung anstrebte, sondern
von seinen Freunden und Förderern regelrecht dazu überredet werden musste …
Masha Gessen schreibt dazu: „Beresowski fühlte sich ganz als Vertreter Russlands
und umwarb Putin schließlich regelrecht. Im Juli 1999 flog Beresowski nach
Biarritz im Südwesten Frankreichs, wo Putin gerade seine Ferien verbrachte. „Ich
rief ihn vorher an“, erinnerte sich Beresowski. „Ich sagte ihm, dass ich kommen
wolle, um etwas Wichtiges mit ihm zu besprechen. Dann flog ich hin. Er machte
Urlaub mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern, die damals beide noch sehr
jung waren. Sie wohnten in einer sehr bescheidenen Unterkunft, ähnlich einer
kleinen Eigentumswohnung. Es war eine Mischung zwischen einem Mietshaus und
einem Apartmenthotel. Eine kleine Küche, ein Schlafzimmer oder mehrere
Schlafzimmer. Wirklich nichts Besonderes.“ Russische Millionäre, zu denen man
Putin zweifellos zählen konnte, verbrachten ihre Ferien mittlerweile meist in
riesigen Villen in der Cote d’Azur. Deshalb war Beresowski von Putins
bescheidenem Urlaubsdomizil so beeindruckt.
„Wir redeten einen ganzen Tag lang miteinander. Am Ende sagte er: „In Ordnung,
versuchen wir es. Aber Sie verstehen, dass Boris Nikolajewitsch (Jelzin) derjenige
sein muss, der mich dazu auffordert.“
(….) Beresowski redete Putin gut zu. “Ich sagte, „Wolodja, wovon reden Sie? Er
selbst hat mich hierher geschickt, um ganz sicher zu gehen, dass es zu keinem
Missverständnis kommt; damit er es nicht zu Ihnen sagt und Sie ihm antworten,
dass Sie das nicht wollen, wie Sie mir schon so oft geantwortet haben.“ Also
willigte er ein. Ich kehrte nach Moskau zurück und berichtete Jumaschew von
unserem Gespräch. Kurz darauf -  ich weiß nicht mehr genau, wie viele Tage
später – kehrte Putin nach Moskau zurück und traf sich mit Boris Nikolajewitsch.
Jelzins Reaktion war kompliziert. Ich erinnere mich aber noch genau, dass er
einmal zu mir sagte: „Er scheint ganz in Ordnung zu sein, aber er ist ein bisschen
klein.“ (Masha Gessen, “Der Mann ohne Gesicht”, S.28ff.)
Und warum hat sich wohl Boris Jelzin und seine „Familie“ letztendlich für Putin
als Nachfolger entschieden? Nach Meinung von Masha Gessen war es wohl seine
absolute Loyalität (was wiederum für Putins „guten, anständigen“ Charakter
spricht): Jelzin „wusste, dass Putin einer der wenigen Männer war, die ihm
gegenüber loyal geblieben waren. Er wusste, dass er einer anderen Generation
angehörte: Anders als Jelzin, sein Freund Primakow und dessen Armee von
Gouverneuren war Putin nicht über die Ränge der Kommunistischen Partei
aufgestiegen und hatte deshalb beim Zusammenbruch der Sowjetunion nicht
öffentlich die Seiten wechseln müssen. Er sah auch anders aus: All die anderen
Männer waren ausnahmslos füllig und hatten Falten im Gesicht; Putin indes –
schlank, klein, und inzwischen ein Freund gut geschnittener europäischer Anzüge
– sah eher aus wie das neue Russland, das Jelzin seinem Volk zehn Jahre zuvor
versprochen hatte. Jelzin wusste auch, oder dachte zumindest, dass Putin eine
Strafverfolgung oder gar die öffentliche Hetzjagd auf ihn nicht gestatten würde,
nachdem er aus dem Amt geschieden war. Und wenn Jelzin auch nur ein Bruchteil
seines einstmals herausragenden politischen Gespürs geblieben war, dann wusste
er, dass die Russen diesen Mann lieben würden, den sie mit Putin erben der ihn
beerben würde.“ (Masha Gessen, “Der Mann ohne Gesicht”, S.32ff.)