In Freising gab es die Seminarbibliothek, eine große Handbibliothek und
schließlich die Dombibliothek, sodass es genug Bücher und Lesestoff für den
jungen Studenten gab, der hungrig nach Wissen und Erkenntnis war. Joseph
Ratzinger las die Werke von Gertrud von le Fort, Ernst Wiechert, Fjodor
Dostojewski („Schuld und Sühne“), Elisabeth Langgässer, Theodor
Steinbüchel, Martin Heidegger und Karl Jaspers. Dessen Buch „Die Wende im
Denken“ wurde für Joseph Ratzinger zur Schlüssellektüre. „Eben das war es,
was Deutschland, was die Welt jetzt brauchte – eine Wende zurück zu Gott!
Man hatte allzu drastisch erlebt, wohin es führt, wenn sich eine Gesellschaft
von Gott trennt, sich der Mensch zum Maß aller Dinge, zum Herrn über Leben
und Tod erklärt.“ (Georg R.*, S.157)  Besonders schätzte Joseph Ratzinger auch
den heiligen Augustinus und er stimmte diesem von ganzem Herzen zu, dass
man Christ nicht durch Geburt, sondern nur durch innere Bekehrung werden
könne.
Im Sommer 1947 endete für die Ratzinger-Brüder das zweijährige Studium der
Philosophie in Freising – beide hatten das philosophische Examen gemacht
und die „Admissio“ erhalten, womit sie Weihekandidaten wurden.  Für sein
Theologiestudium wechselte Joseph Ratzinger nun an die Universität
München, während sein Bruder und die meisten anderen Seminaristen in
Freising blieben. 
Der Hauptgrund für den Wechsel war, dass an der Theologischen Fakultät an
der Universität München renommierte Professoren, die besten Theologen ihrer
Zeit, lehrten, die aus allen Teilen des Landes gekommen waren.  „Ich fand es
wunderbar, in die große Welt der Geschichte des Glaubens einzudringen,“
erinnerte sich später Joseph Ratzinger, „weite Horizonte des Denkens und
Glaubens erschlossen sich mir, und ich lernte dabei, die Urfragen des
Menschsein, meine eigenen Lebensfragen, zu bedenken.“
Hier wuchs das Fundament für seine eigene Theologie, deren Grundlagen die
Heilige Schrift und die Kirchenväter sind. Dabei wollte er nie „Haltmachen in
der alten Kirche“. Vielmehr ging es ihm stets darum, „unter den Verkrustun-
gen den eigentlichen Glaubenskern freizulegen, um ihm wieder Kraft und
Dynamik zu geben. (Georg R.*, S.165 ff.). 
1950, in seinem letzten Studienjahr (zu Ende des dritten theologischen
Jahres), nahm Joseph Ratzinger an einem Wettbewerb teil, der jedes Jahr für
die Fakultät ausgeschrieben wurde. Das Thema lautete: „Volk und Haus
Gottes in Augustins Lehre von der Kirche.“ Wer die beste Arbeit ablieferte,
erhielt nicht nur ein kleines Preisgeld - vor allem wurde seine Abhandlung als
Dissertation angenommen. Joseph Ratzingers Arbeit gewann den Wettbewerb.
Damit hatte er nicht nur seine Dissertation eingereicht, sondern auch seinen
Doktorvater (Prof. Dr.Gottlieb Söhngen, den Joseph Ratzinger sehr schätzte),
von sich überzeugt. „Nach der Arbeit über Augustinus“, so erinnerte sich sein
einstiger Präfekt Alfred Läpple, der längst zu einem seiner besten Freunde
geworden war, „sagte Söhngen immer wieder: „Jetzt weiß mein Schüler mehr
darüber als ich, der Meister!“ In Bezug auf Ratzinger fühlte er sich wie
Albertus Magnus, der im Mittelalter gesagt hatte, sein Schüler werde später
„lauter brüllen“ als er. Und der Schüler, den er meinte, war Thomas von
Aquin.“ (Georg R.*, S.167)