Ein Vergleich zwischen der Hiobsgeschichte im Koran und der Bibel zeigt auch
die unterschiedlichen Gottesbilder. Während der biblische Hiob mit Gott über
sein Schicksal hadert und sogar Gott als Tyrannen bezeichnet, der über das
Ganze herrscht, erduldet er ihm Koran ein Unheil nach dem anderen, weil er
auf Gott und seine Gnade vertraut. Für seine Geduld und Demut wird er am
Ende mit der Heilung belohnt. Überhaupt ist die Tradition des Haderns mit Gott
im Mainstream-Islam sehr verpönt: „Ihr, die ihr glaubt, stellt keine Fragen,
dessen Antworten euch kränken würden, solltet ihr sie bekommen“, steht im
Koran. Im Gegensatz zu den griechischen und nördlichen Mythologien, wo
Titanen das Feuer von Göttern stehlen, um sich zu verwirklichen, oder Gigan-
ten gegen sie kämpfen und ihnen ihre Macht streitig machten, darf es im Islam
zu dieser Auseinandersetzung nicht kommen. (…)
Der germanische Gott Odin hat nur ein Auge und ist ständig auf der Suche
nach Wissen. Er opfert sich für die Menschen, nicht umgekehrt, und hängt
sich, vom eigenen Speer verwundet, neun Tage und Nächte an den Lebens-
baum Yaggdrasil, im Wissen zu erlangen. Allah dagegen ist nicht von dieser
Welt, ist weise und allwissend und sieht alles .. (…) Er wird als der Hersteller
des Menschen gesehen, der weiß, wie er funktioniert, deshalb ist er auch der
Einzige, der ihm Handlungsanweisungen vorschreiben kann. (S.125ff.)
So ist aus den Hadithen (den außerkoranischen Aussagen des Propheten) die
größte Gebrauchsanweisung der Geschichte entstanden. Gebote, Verbote und
Empfehlungen, die einen Muslim vierundzwanzig Stunden täglich und in jeder
Lebenssituation begleiten. Das macht es vielen Muslimen bis heute schwer,
den Gedanken der Säkularisierung nachzuvollziehen. Im Gegensatz zu Jesus,
der nur wenige Monate als Privatprediger unterwegs war, währte Mohameds
herrscherliche Präsenz dreiundzwanzig Jahre, in denen er die Funktionen als
Gesetzgeber, Richter, Feldherr und noch dazu als Prophet erfüllte.
Jesus musste sich nie um die materiellen Belange einer großen Gemeinde
kümmern, deshalb fiel es ihm nicht schwer zu sagen: „Gib dem Kaiser, was
des Kaisers ist, und gib Gott, was Gottes ist.“ Mohamed konnte so etwas nicht
sagen, da er Kaiser und Postbote Gottes zugleich war.
Die ersten Christen sammelten eine lange Erfahrung als kleine Minderheit, ehe
das Christentum drei Jahrhunderte später Staatsreligion des Römischen
Reiches wurde. Muslime kamen hingegen sehr früh an die Macht und kannten,
mit wenigen Ausnahmen, in ihrer Geschichte die Situation der Minderheit nicht.
(S.122)