„Nach den Zaren und dem Kommunismus
braucht Russland jetzt noch Zeit”
Rund drei Wochen vor den Olympischen Winterspielen setzen immer
mehr Politiker wie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und US-
Präsident Barack Obama mit ihrem Fernbleiben in Sotschi ein
Zeichen gegen die Menschenrechtsverletzungen in Russland. Der
dreifache Schiweltmeister Karl Schranz, 75, hält nichts vom Boykott.
Er half als Berater Präsident Wladimir Putin bei der Olympia-
Bewerbung. Im Gespräch mit dem WOCHE-Redakteur Wolfgang
Kreuziger verteidigt Schranz die Politik Russlands und erzählt von
Begegnungen mit Putin auf der Piste und in dessen Datscha bei
Moskau.
Herr Schranz, wie sehen Sie als Freund Wladimir Putins die kritischen
Diskussionen über die Menschenrechtsverletzungen in seinem Land?
Ich weiß nicht, wie viele Nationen weltweit die Menschenrechte verletzen. Aber
hier sollte bedacht werden, dass im größten Land der Welt mit hunderten
Volksgruppierungen Ordnung herrschen muss. Auch wir Österreicher haben uns
diese Ordnung nach dem Krieg erst erarbeiten müssen, den Russen müssen wir
ebenfalls Zeit geben. Zuerst hatten sie die Zaren, dann achtzig Jahre
Kommunismus. Das Land muss langsam aufgebaut werden und genau das macht
Putin.
Viele Politiker boykottieren die Winterspiele. Ist der Präsident nicht zu
dominant und bestimmend? Auch im persönlichen Umgang?
Wenn der Staatschef eines so großen Landes nicht bestimmend wäre, dann hätten
sie bald einen ordentlichen Sauhaufen beinander. Unter Boris Jelzin hat sich das
Land ja fast aufgelöst. Viele Menschen sind damals fragwürdig zu viel Geld
gekommen, das wurde jetzt unterbunden. Im persönlichen Umgang ist Wladimir
Putin äußerst angenehm, das würden Sie gar nicht glauben.
Wie wurden Sie sein Freund und Berater für die Winterspiele?
Ich lernte ihn bei der Schi-Weltmeisterschaft im Jahr 2001 in St. Anton (T)
kennen, wo er auf Besuch war. Seither haben wir mehrmals im Jahr Kontakt und
eine Art Freundschaft aufgebaut. Nachdem Salzburg und das Österreichische
Olympische Komitee meine angebotene Hilfe bei der Olympiabewerbung für 2014
nicht wollten, kam Putin und fragte mich, wie die Spiele zu bekommen seien. Ich
habe es ihm gesagt. Ich hatte ja schon die Schi-WM 2001 in unser Land geholt.
Wie ist Ihr Gefühl für die Veranstaltung?
Sie wird schön und stimmungsvoll sein. Die Russen sind stolz darauf, dass sie
erstmals Winterspiele austragen können, und haben auch etwa im Biathlon oder im
Eishockey exzellente Sportler. Der Ort Sotschi lässt sich durch seine Lage am
Meer mit Cannes oder Nizza in Frankreich vergleichen. Die Eisstadien und Hallen
liegen unweit vom Wasser, aber auch sonst werden das Spiele der kurzen Wege.
Es gibt keine stundenlangen Fahrzeiten wie etwa früher in Kanada.
Der Welt-Schiverbandspräsident Gian-Franco Kasper befürchtet aber Alpin-
Rennen ohne Stimmung, weil keine Zuschauer neben der Piste stehen dürfen …
Das glaube ich nicht, die Atmosphäre wird gut sein. Auch bei der WM in
Garmisch-Partenkirchen im Jahr 2011 waren die Zuschauer auf 15.000
kontingentiert.
Auf der geschäftlichen Seite profitieren in Sotschi Firmen aus unserem Land –
auch dank Ihrer Hilfe?
Ich habe versucht zu fördern, dass heimische Schiliftbauer oder Schneekanonen-
Hersteller ebenso wie der Baukonzern Strabag stark zum Zug kommen. Einige
machen dort jetzt sicher gute Geschäfte. Die Russen stellen sich bei den
Großveranstaltungen immer geschickter an, mittlerweile haben Sie ja auch die
Fußball-WM (2018) und ein Formel-1-Rennen geholt.
Welcher Typ Mensch ist Putin?
Er ist unkompliziert, stammt selbst aus armen Verhältnissen und kann auf die
Menschen eingehen. Ich war auch schon in seiner Datscha, seinem Sommerhaus
außerhalb von Moskau. Es war hochinteressant, wenn er da abends durch die
Stallungen geht und seine zahlreichen Pferde füttert, die er als Geschenk
bekommen hat. Das ist ein gigantisch großer Gebäudekomplex, den schon die
Präsidenten vor ihm benutzt haben.
Haben Sie in Ihrem Mobiltelefon Putins Privatnummer gespeichert?
Nein, das würde ich auch gar nicht wollen. Aber wenn ich ihn erreichen will,
erreiche ich ihn.
Ausgezeichnet. Er ist nicht der Typ Pistenflitzer, sondern fährt eher kontrolliert.
Aber er ist sportlich und beweglich. Wir sind schon oft gemeinsam auf der Piste
gestanden, mehrfach auch bei einem Freund von mir, der in Russland ein kleines
Schigebiet betreibt.
Sie leben mit Ihrer Frau Evelyn und den Töchtern Anna, Christiane und Kathi
in St. Anton. Fährt die Familie mit nach Sotschi?
Nein, ich werde alleine zu den Spielen reisen. Wir haben ja ein Hotel in St. Anton
und die Geschäfte müssen weitergeführt werden.
Karl Schranz wurde am 18. November 1938 in St. Anton am Arlberg in Tirol
geboren. Nach dem Wunsch des Vaters, eines Eisenbahners, sollte er einen
bürgerlichen Beruf erlernen, doch die Berge und das Schifahren reizten ihn mehr.
Mit 19 Jahren feierte er mit dem Sieg bei der Abfahrt in Chamonix (Frankreich)
seinen ersten großen Erfolg. Sieben weitere Siege in der Abfahrt und vier im
Riesenslalom folgten. In der Abfahrt, in der Kombination und im Riesenslalom
wurde Karl Schranz zudem Weltmeister. Ein Olympiasieg blieb ihm verwehrt. Bei
den Spielen in Innsbruck im Jahr 1964 errang er immerhin die Silber-Medaille im
Riesenslalom. Im Jahr 1972 wurde er von den Spielen in Sapporo (Japan)
ausgeschlossen. Weil Schranz gegen das Amateurgesetz verstoßen hatte. Eine
zweifelhafte Entscheidung, die mit der Verleihung einer Ehrenmedaille des
Internationalen Olympischen Komitees im Jahr 1988 zum Teil wieder gutgemacht
wurde. Schranz lebt heute mit seiner Familie am Arlberg.
Quelle: http://www.ganzewoche.at/inhalte/artikel/?idartikel=6184/Nach-den-Zaren-und-dem-
Kommunismus-braucht-Russland-jetzt-noch-Zeit