1990er Jahre: Neoliberalismus
Regionalismus in Lateinamerika
Während die Auswirkungen der Globalisierung auf der ganzen Welt zu spüren
waren, prägte die interamerikanischen Beziehungen in den 90er Jahren vor allem
der Washington Consensus, der eine Reihe von neoliberalen Wirtschaftsrefor-
men in Lateinamerika einleitete.
Demokratisierungen und die Etablierung neoliberaler Wirtschaftsmodelle gingen
in fast ganz Lateinamerika Hand in Hand. Das durch die Schuldenkrise ausgelöste
verlorene Jahrzehnt Lateinamerikas wurde in den 90er Jahren durch das Konzept
der integración abierta oder des regionalismo abierto abgelöst, das die wirt-
schaftliche Integration Lateinamerikas nach innen und nach außen (z. B. nach
Europa) förderte.
Vor allem aber orientierte man sich in Lateinamerika nun auf die Schaffung
eigener Kooperationszonen, eines eigenen Regionalismus.
Interamerikanische Kooperation der USA
Die "Enterprise-for-the-Americas"-Initiative der ersten Bush-Regierung im
Jahr 1991 ist ein Vorstoß der USA, bei dem es erstmals nicht um
sicherheitspolitische Erwägungen zu gehen schien, sondern um eine
wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Mit dem Ende des Kalten Krieges und der dadurch entstandenen Diversität
stand der US-Markt vor neuen Herausforderungen: Energieabhängigkeit, die
Abhängigkeit vom globalisierten Markt, die wachsende Marktmacht anderer
Handelsländer (z. B. asiatischer Rivalen) durch regionale Märkte (Freihandels-
zonen) und die Herausbildung grüner Technologien und deren Märkte.
Die außenpolitischen Interessen der USA hatten sich gewandelt: Nun standen
ökonomische Ziele im Vordergrund; gesellschaftliche (z. B. Drogenhandel) und
ökologische Probleme (z. B. Testfeld für umweltpolitische Strategien) in zweiter
Reihe und die ideologische Verbreitung von Demokratie und Liberalismus ist zu
einem Nebeninteresse herabgesunken.
Auf dem ersten Amerika-Gipfel, der 1994 in Miami abgehalten wurde, wurde die
Schaffung einer Amerikanischen Freihandelszone (ALCA) bis 2005
beschlossen. Die ALCA sollte die Ausweitung des Nordamerikanischen
Freihandelsabkom-mens (NAFTA) bewirken, das ebenfalls am 1. Januar 1994
zwischen Kanada, den USA und Mexiko in Kraft trat.
Die Integration der USA in die NAFTA war vielversprechender für die USA als
weitere Handelsabkommen mit Westeuropa oder Japan. Dieser Prozess rief aber
auch eine wachsende Interdependenz beider Zonen hervor, der durch die begin-
nende Latinisierung der USA (durch Migration, Bilingualismus), durch Drogen-
handel und den Zusammenhang der Stabilität des US-Bankensystems mit der
Zahlungsfähigkeit Lateinamerikas gestützt wurde. Zeitgenössische Beobachter
sprachen auch von einer „Chaosmacht“ Lateinamerikas über die USA.
Eine erste Opposition gegen NAFTA und ALCA artikulierte die mexikanische
EZLN, angeführt vom EZLN-Sprecher Subcomandante Marcos. Die Gruppe wur-
de gleichzeitig mit der NAFTA-Gründung aktiv und erklärte sich zur Gegnerin der
ideologischen Verherrlichung von Globalisierung und Neoliberalismus, die sie in
der NAFTA sah.