2000er Jahre: Demokratischer Sozialismus
Die politischen Rahmenbedingungen änderten sich ein weiteres Mal mit den
Wahlsiegen sozialistischer Parteien in verschiedenen Ländern Südamerikas.
Der „Linksruck“ Lateinamerikas vollzog sich durch die Wahlsiege
sozialistischer Politiker bei den Präsidentschaftswahlen: Hugo Chávez in
Venezuela (1998), Lula da Silva in Brasilien (2002), Néstor Kirchner in
Argentinien (2003), Tabaré Vázquez in Uruguay (2004), Evo Morales in Bolivien
(2005) (2009 mit 64 Prozent der Stimmen wiedergewählt), Michelle Bachelet in
Chile (2006), Daniel Ortega in Nicaragua (2006), Rafael Correa in Ecuador (2007),
Fernando Lugo in Paraguay (2008) und José Mujica in Uruguay (2009).
Obwohl diese politischen Führer in ihren Haltungen gegenüber USA und Neo-
liberalismus variieren und die von ihnen regierten Staaten verschiedene Entwick-
lungstendenzen aufweisen, die bisweilen sogar zu Rivalitäten und gegenseitige
Geringschätzung führen, so stimmen sie sowohl in ihrer Ablehnung der Amerika-
nischen Freihandelszone überein als auch in dem Bestreben nach regionaler
Integration ohne die USA.
Während Chávez und Morales eine Zusammenarbeit auf dem linken Spektrum
anzustreben scheinen, gelten Kirchner und Lula, der von der brasilianischen
Linken (z. B. von der Bewegung der Landarbeiter ohne Boden) kritisiert wurde, als
moderater. Die Bewegung der landlosen Bauern rief indessen bei den Wahlen 2005
dazu auf, für eine zweite Amtszeit Lulas zu votieren.
Zwischen Bolivien und Brasilien gab es in dieser Zeit einige Reibung. Chile ver-
folgte traditionell seine eigene Politik, die sich von anderen südamerikanischen
Ländern unterschied und der USA nahestand.
Nouriel Roubini, Professor für Wirtschaft an der New York University, erklärte
dazu im Mai 2006: "Einerseits gibt es eine Anzahl von Staaten, die eine
moderate Wirtschaftsreform durchführen. Andererseits etabliert sich eine
Gegenbewegung zum Washington Consensus (liberale Wirtschaftspolitik, die
US-Institutionen in Lateinamerika einzuführen erzwingen wollten, die Priva-
tisierung, Liberalisierung des Handels und Steuerregulierung beinhaltete) und
populistische Führer erlangen die Macht."
Dazu passt, dass sich der geopolitische Kontext seit den 1970er Jahren kaum ver-
ändert hat, obwohl Führer wie Chávez die Bush-Administration in den 2000er
Jahren stark verbal attackiert haben (ebenso wie letzterer ihn) und Chávez prokla-
miert, eine sozialdemokratische Bolivarische Revolution anzuführen.
Larry Birns, Direktor des Council on Hemispheric Affairs sagte dazu:
"La Paz befindet sich in wirtschaftlicher und politischer Verbindung zum
Linksruck in Caracas, ist aber wirtschaftlich an Brasilien und Buenos Aires
gebunden. Morales wusste, dass er weder seine Kampagnen-Versprechen gegen-
über seiner Wählerschaft aufgeben noch Bolivien der dringend benötigten fin-
anziellen Einkünfte aus diesen Verbindungen berauben konnte."
Ein Symbol des Rückschlags der USA in der Region war 2005 die Wahl von
José Miguel Insulza, Mitglied der Sozialistischen Partei Chiles (PS) und
ehemaliger Innenminister des Landes, zum OAS-Generalsekretär. Erstmals
wurde der von Washington unterstützte Kandidat Luis Ernesto Derbez, Mitglied
der christlich-konservativen PAN-Partei in Mexiko und früherer Außenminister
des Landes von einer Mehrheit der Mitgliedsstaaten abgelehnt. Er wurde lediglich
von den USA, Kanada, Mexiko, Belize, St. Vincent und die Grenadinen, Bolivien
(unter Präsident Carlos Mesa), Costa Rica, El Salvador, Honduras und Nicaragua
unterstützt, während Insulza von allen Ländern des Südkegels, Brasilien, Ecuador,
Venezuela und der Dominikanischen Republik unterstützt wurde. José Insulza
wurde im dritten Wahlgang gewählt und nahm sein Amt am 26. Mai 2005 auf.
Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York und
Washington versuchten die Vereinigten Staaten, den Rio-Pakt von 1947 zu
reaktivieren, und forderten die damaligen Verbündeten auf, in den von der Bush-
Regierung propagierten Krieg gegen den Terror einzusteigen. Dieser Plan
misslang. Zudem erklärte Mexiko mit Bezug auf die Rolle der USA im
Falklandkrieg seinen offiziellen Austritt aus dem Vertrag.
Während der 2013 durch den Whistleblower Edward Snowden ausgelösten
Überwachungs- und Spionageaffäre kam es zu erheblichen diplomatischen
Spannungen zwischen den USA und Lateinamerika. Es wurde bekannt, dass
vor allem Brasilien im Visier der amerikanischen Geheimdienste ist. So wurde
beis-pielsweise die Kommunikation der brasilianischen Präsidentin Dilma
Rousseff abgehört. Als dann der bolivianische Präsident Evo Morales mit der
Präsidenten-maschine zwischenlanden musste, da ihm von mehreren europäischen
Ländern auf Druck der USA hin die Überflugrechte verweigert wurden, weil der
Edward Snow-den an Bord vermutet wurde, reagierten Länder wie Argentinien,
Ecuador, Vene-zuela, Nicaragua und Bolivien empört.
Morales drohte mit der Schließung der US-amerikanischen Botschaft.
Nachdem Snowden in Ecuador politisches Asyl beantragte, drohte die USA mit der
Auflös-ung eines Handelsvertrages, der Ecuador Zollvergünstigung bringt.
Ecuador kün-digt den Vertrag seinerseits und stellte klar, dass es keine Erpressung
duldet. Als Reaktion auf die erzwungen Notlandung und den Druck der USA boten
Venezuela, Nicaragua und Bolivien Edward Snowden Asyl an.
Freihandel und regionale Integration
Die Idee einer Gesamt-Amerikanischen Freihandelszone wurde zwar 2005 auf dem
4. Amerika-Gipfel in Mar del Plata unter starkem Protest gegen US-Präsident
George W. Bush, der auch Demonstrationen der Piqueteros umfasste, verworfen.
Doch Freihandelsabkommen an sich wurden nicht verworfen.
Auf regionaler Ebene ging die wirtschaftliche Integration weiter: Unter der Bush-
Regentschaft unterzeichneten die USA, die bereits über zwei Freihandelsabkom-
men mit Lateinamerika verfügten, acht weitere Verträge (darunter das US-
Chilenische Freihandelsabkommen von 2004 und das Freihandelsabkommen
Kolumbien – USA von 2006). Drei andere, darunter das US-Peruanische
Freihandelsabkommen (2006 unterzeichnet) wurden bisher nicht vom US-
Kongress ratifiziert.
Die Erklärung von Cuzco, die einige Wochen vor dem dritten Südamerika-Gipfel
(2004) unterzeichnet wurde, kündigte die Gründung der Union
Südamerikanischer Nationen (Unasul/Unasur) an, die Mercosurstaaten und
Andengemeinschaft ver-einigen sollte. Ihr Ziel ist es, bis 2014 alle Zölle für
unempfindliche Waren und bis 2019 für den gesamten Warenverkehr abzubauen.
Zudem wurde das Freihandelsabkommen zwischen der Dominikanischen
Repu-blik und Zentralamerika (DR-CAFTA) von allen betroffenen Staaten
außer Costa Rica ratifiziert. Der 2006 ins Amt gewählte Präsident dieses Landes,
Óscar Arias, Mitglied der Partido Liberación Nacional, hat jedoch seine
Zustimmung zu diesem Abkommen ausgedrückt.
Kanada, das bereits vorher einen Freihandelsvertrag mit Costa Rica hatte, stimmte
nun mit Zentralamerika über ein solches Abkommen überein (Canada – Central
American Free Trade Agreement). Chile, das lange eine Politik verfolgt hatte, die
sich von der seiner Nachbarn abhob, unterzeichnete gemeinsam mit Brunei, Neu-
seeland und Singapur die Transpazifische strategische wirtschaftliche Partner-
schaft. Das Regime trat im Mai 2006 in Kraft. Alle Unterzeichnerstaaten sind auch
APEC-Staaten.
Investitionsschutzabkommen
Neben binationalen Freihandelsabkommen schlossen die USA eine Reihe von
Investitionsschutzabkommen (BIT) mit lateinamerikanischen Ländern ab, die
günstige Bedingungen für Direktinvestitionen schufen.
Diese Verträge beinhalten „faire und angemessene Behandlung“, Schutz vor Ent-
eignung, freien Warenverkehr und vollständigen Schutz und Sicherheit. Kritiker
bemängeln daran, dass die USA Tempo, Inhalt und Ausrichtung bilateraler Ver-
handlungen stärker kontrollieren kann als in größeren Verhandlungszusammen-
hängen.
Im Falle einer Auseinandersetzung zwischen einem multinationalen Unter-
nehmen und einem Staat über eine Investition in einem lateinamerikanischen
Land kann das Unternehmen ein Gerichtsverfahren vor dem Internationalen
Zen-trum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID), einem inter-
nationalen Gericht, das von der Weltbank abhängig ist, anberaumen.
Solch ein Verfahren wurde von dem multinationalen Unternehmen Bechtel, mit
Hauptsitz in den USA, als Folge seines Ausschlusses aus Bolivien initiiert, zu dem
es durch die Proteste in Cochabama (2000) gekommen war. Die lokale Bevölker-
ung hatte gegen die Privatisierung des Wasserbetriebs demonstriert, die von der
Weltbank nach der Misswirtschaft durch Bechtel gefordert wurde. Danach verlang-
te Bechtel vom bolivianischen Staat eine Entschädigungszahlung in der Höhe von
50 Millionen US-Dollar. Das Unternehmen ließ die Anklage 2006 fallen, nachdem
es zu massiver Kritik und internationalen Protesten gekommen war.
Solche Investitionsschutzabkommen schlossen die USA mit einer ganzen Reihe
von Staaten ab: Haiti (In-Kraft-Treten 1983), Grenada (1989), Panama (1991,
erweitert 2001), Argentinien (1994), Trinidad und Tobago (1996), Ecuador (1997),
Jamaica (1997), Bolivien (2001), Honduras (2001). Verträge mit El Salvador
(1999) und Nicaragua (1995) wurden unterzeichnet, aber nicht ratifiziert.
Beziehungen zwischen USA und Venezuela
Mit seiner Politik durchkreuzte der venezolanische Präsident Hugo Chávez
die Politik der Vereinigten Staaten, die mittels Umwandlung von ganz La-
teinamerika in eine Freihandelszone die Dominanz über ihren „Hinterhof“
auf Dauer sichern wollten.
Auch seine freundschaftlichen Kontakte zu Fidel Castro, Muammar al-Gaddafi und
Saddam Hussein trugen dazu bei, die Gegnerschaft der USA zu erwecken. Beim
Putschversuch von Pedro Carmona von 2002 stellten sich die Vereinigten Staaten
auf die Seite der Putschisten und erkannten Carmona sofort als Staatschef an, als
dieser zwischenzeitlich kurz das Präsidialamt innehatte.
Als Antwort auf die geplante Amerikanische Freihandelszone (ALCA)
gründete Chávez 2004 gemeinsam mit Castro die ALBA. Im Rahmen des
Beitritts Bolivi-ens unterzeichneten Venezuela, Kuba und Bolivien zudem 2006
den Handelsver-trag der Völker.
Venezuela, das reiche Erdgas- und Erdölvorkommen besitzt (OPEC-Staat), etab-
lierte ebenso verbesserte Handelsbeziehungen mit Argentinien, Brasilien und
Nicaragua. Chávez initiierte das Petrocaribe-Abkommen, das zwölf der 15 Mitglie-
der der Karibischen Gemeinschaft 2005 unterzeichneten.
Die staatliche venezolanische Erdölgesellschaft PDVSA versorgt über ihre US-
amerikanische Tochterfirma Citgo in Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen
Sozialorganisation Citizens Energy seit dem Jahr 2005 Bedürftige in den USA in
den Wintermonaten mit verbilligtem Heizöl.
Ein weiterer Riss zwischen ALBA und den USA entstand, als die ALBA im
Dezember 2008 eine Intervention der Vereinigten Staaten bei den Wahlen in
Nicaragua beanstandete. Ihre Nachricht an die nördlichen Nachbarn (veröffent-
licht als amtliche Verlautbarung des venezolanischen Außenministeriums) lautete:
"Wir weisen die Intervention der USA in die inneren Angelegenheiten Nicara-
guas scharf zurück und bekräftigen das exklusive Durchführungsrecht des nic-
araguanischen Volkes und seiner Institutionen zu den jüngsten Parlaments-
wahlen. Präsident Daniel Ortega und die FSLN haben ihre Demokratiefähigkeit
in den Wahlkämpfen der 1980er Jahre und in der Akzeptanz des Wahlsiegs
ihrer Gegner bereits bewiesen."
Militärische Zusammenarbeit im Irakkrieg
Im Juni 2003 schlossen sich etwa 1200 Soldaten und Soldatinnen aus der Domini-
kanischen Republik, El Salvador, Honduras und Nicaragua mit den 1300 spani-
schen Militärkräften im Rahmen der US-Initiative der Koalition der Willigen im
Irak zur Plus Ultra Brigade zusammen. Die Brigade wurde im April 2004 auf-
gelöst, nachdem die spanischen Truppen aus dem Irak abgezogen waren. Auch alle
lateinamerikanischen Staaten zogen ihre Truppen wieder zurück.
Im September 2005 wurde bekannt, dass Triple Canopy, ein US-amerikanisches
Privates Sicherheits- und Militärunternehmen, das auch im Irak arbeitete, in
Lepaterique, Honduras, lateinamerikanische Söldner ausbildete. Lepaterique war
ein früheres Ausbildungszentrum für die Contras.
105 chilenische Söldner wurden dafür vom Land deportiert. Nach Berichten der
honduranischen Zeitung La Tribuna wurden im November 108 Honduraner, 88
Chilenen und 16 Nicaraguaner nach Irak verschifft.
Etwa 700 Peruaner, 250 Chilenen und 320 Honduraner arbeiteten in der
Grünen Zone Bagdads für Triple Canopy. Ihnen wurde lediglich die Hälfte
des Lohns nordamerikanischer Angestellter gezahlt. Die Nachricht erlangte
auch Aufsehen in Chile als bekannt wurde, dass Marina Óscar Aspe, ein pensio-
nierter Militär, für Triple Canopy arbeitete. Dieser hatte in seiner Heimat an der
Ermordung von Marcelo Barrios Andrade, einem 21-jährigen Mitglied der FPMR,
mitgewirkt, das heute auf der Liste der Opfer des Rettig Reports steht. Marina
Óscar Aspe dagegen steht auf der Liste der Ethikkommission gegen Folter von
2001. Triple Canopy hat auch eine Tochtergesellschaft in Peru.
Im Juli 2007 reduzierte der salvadorianische Präsident Antonio Saca die Anzahl
der stationierten Soldaten im Irak von 380 auf 280. Seit der Stationierung 2003
wurden vier salvadorianische Soldaten getötet. Gleichzeitig waren 200 Projekte,
die auf den Wiederaufbau des Irak abzielten, abgeschlossen.
Verstaatlichung von Bodenschätzen in Bolivien
Die Kämpfe um natürliche Ressourcen und die überstaatliche Verteidigung natio-
naler Interessen durch die USA haben seit dem Höhepunkt der Unterstützung von
Bananenrepubliken durch die Vereinigten Staaten im 19. Jahrhundert nie aufge-
hört.
Aber der geopolitische Kontext hat sich verändert und die Handlungsmaxime
aller Staaten haben sich weiterentwickelt. Das zeigt sich am Beispiel
Boliviens. Bolivien ist eines der ärmsten Länder Südamerikas und war in den
1980er- und 90er Jahren stark von Protesten und Aufruhr betroffen – vor allem
wegen einer Schocktherapie, die frühere Regierungen dem Land auferlegt hatten,
und auch wegen des Ärgers um die coca eradication-Politik der USA. Coca ist
eine traditi-onell kultivierte Pflanze der Quechua und Aymara, die sie für thera-
peutische (gegen die Höhenkrankheit) und kulturelle Zwecke verwenden.
Der Bolivianische Gaskrieg (2003/04) entzündete sich an den Plänen der Pacific
LNG-Vereinigung, Erdgas aus Bolivien, das nach Venezuela das zweitgrößte
Erdgasvorkommen Lateinamerikas besitzt, nach Kalifornien zu exportieren. Der
Exportweg sollte über den Nachbarstaat Chile führen, mit dem Bolivien seit dem
Salpeterkrieg (1879–1884) keine guten Beziehungen führte, da es das Land seines
Zugangs zum Pazifischen Ozean beraubt hatte. Infolge wurde auch der Plan zur
Erschaffung der ALCA in Bolivien bei Demonstrationen kritisiert, die von der
Central Obrera Boliviana und Felipe Quispe Huancas Movimiento Indígena
Pachakuti (MIP) angeführt wurden.
Ein Anzeichen des neuen geopolitischen Kontexts seit der Jahrtausendwende
zeigt sich in einer Ankündigung Evo Morales', die er im Zusammenhang mit
Wahlversprechen gemacht hatte: Die Erdgasreserven des Landes sollten
verstaatlicht werden. Er betonte dabei, dass die Verstaatlichungen nicht die Form
von Enteignungen oder Konfiskationen annehmen würden; vielleicht, weil er eine
gewaltsame Reaktion fürchtete. Die Verstaatlichungen, die nach Vizepräsident
Álvaro García Linera die Einkünfte der Regierung aus dem Energiesektor im
folgenden Jahr versechsfachten, führten zur Kritik Brasiliens, dessen Ölgesellschaft
Petrobras eine der größten ausländischen Investoren in Bolivien ist. Nach Reuters
würden die Maßnahmen Boliviens denen des venezolanischen Präsidenten Hugo
Chávez, wahrscheinlich Morales' größtem Verbündeten, ähneln, der die
Verstaatlichung seiner Ölreserven mit erzwungenen Vertragsüberschreibungen und
rückwirkenden Steuererhöhungen durchsetzte – Bedingungen, denen große
Ölgesellschaften zustimmten.
Die bolivianische Gasgesellschaft YPFB, die vom früheren Präsidenten Gonzalo
Sánchez de Lozada privatisiert worden war, bezahlte ausländische Gesellschaften
für deren Serviceleistungen. Die Zahlungen entsprachen etwa 50 Prozent des
Produktionswerts, obwohl ein Erlass darauf hinwies, dass den Unternehmen, die
die zwei größten Gasreserven des Landes nutzten, lediglich 18 Prozent zustanden.
Nach anfänglich feindlichen Reaktionen drückte die Repsol YPF ihren Willen aus,
mit der bolivianischen Regierung zusammenzuarbeiten und Petrobras zog seinen
Aufruf, Investitionen in Bolivien zu unterlassen, zurück. Trotzdem, so Larry Birns,
könne die hohe mediale Bekanntheit der Verstaatlichungen das Außenministerium
der Vereinigten Staaten dazu veranlassen, einen Vorstoß in der Region zu wagen,
sogar mit Unterstützung von CIA oder dem US-Militär; aber es sei wahrschein-
licher, dass es versuchen werde, die Schwachstelle der lateinamerikanischen
Verteidigung zu unterwandern: das lateinamerikanische Militär.
US-Militär im Dreiländereck: Argentinien, Brasilien, Paraguay
Der argentinische Film Sed, Invasión Gota a Gota (deutsch: „Durst, Invasion
Tropfen für Tropfen“), Regie führte Mausi Martínez, porträtiert die Streit-
kräfte der Vereinigten Staaten als sie langsam und kontinuierlich ihre Prä-
senz in der Triple Frontera (Dreiländereck von Paraguay, Argentinien und
Brasilien) erhöhten. Das angebliche Hauptziel der steigenden Präsenz von US-
Truppen und der gemeinsamen Truppenübungen (vor allem mit Paraguay) ist die
Beobachtung der großen arabischen Bevölkerungsgruppe in der Region. Martínez
behauptet im Dokumentarfilm allerdings, dass die USA am Süßwasservorkommen
des Grundwasserleiters Acuífero Guaraní interessiert seien und befürchtet eine
subtile Übernahme der wertvollen Wasserreserven.
Große Besorgnis erregten 2005 die Errichtung einer US-Militärbasis mit
Flugplatz (Dr Luís María Argaña International) in der Nähe von Mariscal
Estigarribia in Paraguay wegen dessen Nähe zu den Wasserreserven des Drei-
länderecks und zu den Ölreserven Boliviens sowie die Unterzeichnung eines
Militärausbildungsabkommens der USA mit Paraguay, das auch die Immunität von
US-Soldaten vor dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) vorsah und verlänger-
bar war.
US-Präsident George W. Bush besuchte zudem Paraguay und empfing mit Nicanor
Duarte Frutos erstmals einen paraguayischen Präsidenten im Weißen Haus. Der
Militärflugplatz ist auch für große Flugzeuge wie die B-52 oder Lockheed C-130
ausgelegt, die die paraguayische Luftwaffe gar nicht besitzt. Die Regierungen von
Paraguay und den Vereinigten Staaten erklärten angeblich anschließend gar, dass
der Flughafen lediglich dem Transport einiger Soldaten dienen sollte.
Die argentinische Zeitung Clarín spekulierte, dass die Militärbasis strategischen
Zwecken diene. Als Gründe führt sie seine Nähe zum Dreiländereck, zum Acuífero
Guaraní und zu Bolivien (weniger als 200 km) auf und das gleichzeitig anwachs-
ende Interesse der USA für den Altiplano in Bolivien, während sie mit dem Finger
auf den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez zeigen, den die Bush-
Regierung zum Teufel der regionalen Stabilität deklarierte.
Im Oktober 2006 verhandelte US-Präsident George W. Bush laut Medienberichten
in der Nähe von Mariscal Estigarribia um den Erwerb einer 400 km² großen
Ranch.
Paraguay entschied sich im Oktober 2006 jedoch, den Schutz der Immunität
von US-Soldaten nicht zu verlängern. Die anderen Mercosur-
Mitgliedsstaaten (Argen-tinien als wichtiger Nicht-NATO-Verbündeter der
USA, Brasilien, Uruguay, Para-guay und Venezuela) hatten die
Immunitätsgarantie für US-Truppen entschieden zurückgewiesen.