Parlamentswahlen am 1.11.2015 :  Die islamisch-konservative AKP von
Erdogan konnte überraschend die absolute Mehrheit gewinnen und nun ohne
Koalitionspartner weiterregieren, allerdings das von Erdogan angestrebte Präsi-
dialsystem (wodurch der Präsident größere Machtbefugnisse erhalten würde) kann
nicht direkt beschlossen werden, dazu bräuchte es eine Verfassungsänderung durch
eine Zweidrittelmehrheit von 367 Abgeordneten. Derzeit hat die AKP 316
Mandate.
Die Anhänger der kurdischen HDP zeigten sich über das Wahlergebnis
schockiert. Der Kovorsitzende der Partei, Selahattin Demirtas, kritisierte: "Von
einer gleichberechtigten Wahl kann keine Rede sein." Wegen der Angriffe und
Anschläge auf die HDP habe die Partei keinen Wahlkampf führen können. Dass
sie dennoch erneut die Zehnprozenthürde überwand, wertete Demirtas als Erfolg.
Er kritisierte eine „Massakerpolitik“ der politischen Führung in Ankara. Oppo-
sitionsführer Kemal Kilicdaroglu sprach wegen der Gewalt im Land von „außer-
gewöhnlichen Verhältnissen“ bei der Wahl.
In der Türkei häuften sich Stunden nach der Wahl Meldungen über massive
Wahlfälschungen. Regierungskritische Medien hatten seit Tagen dazu aufgerufen,
Vorfälle von Unregelmäßigkeiten und Wahlbetrug an sie weiterzuleiten. Wie
schon im Juni wurden wieder „strategischen Stromausfälle“ in den Metropolen
Istanbul und Diyarbakir gemeldet ...
Doch wie kommt es, dass die Strategie Erdogans, sich und seine Partei als
Garant für Frieden und Stabilität zu präsentieren -  obwohl in Wahrheit  sein
hartes  Vorgehen gegen die Kurden und sonstigen Kritiker die Ursachen der Kon-
flikte und Spannungen im Land sind - aufgegangen ist? Warum hat er immer noch
so viele Anhänger? Hier eine Analyse ...
Wahlergebnis: “Sieg der Angst”:  Die oppositionsnahe "Cumhuriyet" schrieb, 
der Wahlkampf sei auf Angst aufgebaut worden. Nach den drei Bombenan-
schlägen seit den Parlamentswahlen vom 7. Juni habe Staatspräsident Erdogan
wiederholt gesagt: "Entweder Chaos, oder wir". Deswegen sei das jetzige
Wahlergebnis ein "Sieg der Angst".
Weitere Pressestimmen ....
Auch ein ehemaliger Jugendfreund von Erdogan sieht das so. Er sagt: früher
war Erdogan ein “klasser Typ”, doch er hat sich sehr verändert. Jetzt polarisiert er
das Land und schürt Ängste und Hass ...
Das Wahlergebnis hat auch Bedeutung für die EU und für Deutschland. Die
Türkei ist das wichtigste Transitland für Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa.  
Merkel hatte der Türkei jüngst Finanzhilfen, Visaerleichterungen für türkische
Bürger und Unterstützung bei den EU-Beitrittsverhandlungen in Aussicht gestellt.
Allerdings: der Fortschrittsbericht der EU zur Türkei kritisiert zunehmend
schwere Defizite beim Recht auf Meinungsfreiheit und anderen demokratischen
Menschenrechten ...
Ansonsten hält sich die EU aber mit Kritik eher zurück. Ein Fehler?
Hier einige Kommentare dazu ....
Man kann nur zum Wohle der Türkei, aber auch zum Wohl von Erdogan selbst,
hoffen, dass dieser wieder zur “Besinnung” kommt und von seinen “Großmachts-
phantasien” ablässt. Was die Türkei in der heutigen gefährlichen Lage (Stichwort
“IS”) am Wenigsten braucht, ist Instabilität und Gewalt. Anstatt die Kurden zu
bekämpfen, wäre es auch für die Türkei besser, sich der “Anti-IS-Allianz” anzu-
schließen ....  !!!  Sonst könnte bald das Wirklichkeit werden, was der “IS” als
nächsten Schritt plant: das Nachbarland Türkei zu destabilisieren!! 
Den Abgeordneten im türkischen Parlament kann man nur raten, sich mit allen
Mitteln gegen das von Erdogan angestrebte Präsidialsystem zu wehren ...
3.11.2015
 
Türkei