Das Zentralkomitee der Progressiven Sozialistischen Partei der Ukraine
(PSPU) sandte von seiner Sitzung am 9. Februar 2018, im Vorfeld eines auf den
20. Februar angesetzten Gerichtstermins, den folgenden Offenen Brief an das
Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) der Organi-
sation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und an die Euro-
päische Kommission für Demokratie durch Recht (Venedig-Kommission) des
Europarates.
Der Hintergrund des Verfahrens und des Appells ist folgender:
Am 6. Juli 2017 reichte die PSPU Klage ein, um gerichtlich feststellen zu
lassen, daß das ukrainische Justizministerium mit seinen Entscheidungen
bezüglich der PSPU gegen die Gesetze verstoßen hat. Das Ministerium ver-
weigert die formelle Annahme von Statut, Programm und Zusammensetzung
der Führungsgremien der Partei, wie sie vom 31. Außerordentlichen Parteitag
der PSPU am 18. März 2017 beschlossen wurden.
Zuvor hatte das Ministerium bereits zwei weitere Parteitage der PSPU (2015
und 2016) in der gleichen Weise ignoriert. Infolgedessen sind die Aktivitäten
der Partei seit 2015 stark behindert. Das Gericht hat den Termin für die Ver-
handlung über die Klage bereits zweimal aufgeschoben. Die nächste Ver-
handlung vor dem Verwaltungsgericht für den Bezirk der Stadt Kiew ist für
den 20. Februar angesetzt.
Auszug aus dem “offenen Brief”:
“ ... Wir sind überzeugt, daß die ukrainische Regierung ihre Verpflichtungen
gegenüber den mit der PSPU verbundenen Bürgern der Ukraine nicht erfüllt,
hinsichtlich der Garantien unter der Verfassung und den Konventionen über
die Freiheit, sich in politischen Parteien zusammenzuschließen, die Meinungs-
freiheit und das Recht, sich an demokratischen Wahlen zu beteiligen.
Als Konsequenz dieses Vorgehens der Regierungsbehörden sind die Akti-
vitäten der Partei nun schon seit drei Jahren faktisch unterbunden und die
Rechte der Parteimitglieder werden gröblich verletzt.
Die folgenden Fakten bestätigen dies:
1. Am 28. Oktober 2016 wurden das Zentralbüro der PSPU und die Redaktion
der Parteizeitung Predrassvetnyye ogni illegal und gewaltsam besetzt. Seit
mehr als zehn Jahren hatten die PSPU und die Redaktion auf vollkommen
legaler Basis gewerbliche Räume der Firma Siver Ukraina LLC gemietet, in
denen sich ihre Büros befanden und von denen aus sie ihre gesetzmäßigen
politischen Aktivitäten durchführten. Ohne eine gerichtliche Anordnung oder
eine Benachrichtigung der Partei oder der Redaktionsmitarbeiter führte der
Sicherheitsdienst der Ukraine nach der gewaltsamen Besetzung der Büros eine
Durchsuchung der Räumlichkeiten durch und konfiszierte Archivmaterial,
Computerteile (darunter Festplatten von Desktop-Computern), Parteidoku-
mente mit persönlichen Daten von PSPU-Aktivisten, Briefpapier der Partei,
Dokumente über die Finanzen und die Buchführung der Partei, Parteisymbole
und persönliches Eigentum der PSPU-Führer Natalja Witrenko und Wladimir
Martschenko, darunter ihre persönlichen Bibliotheken und Laptops.
Die illegale und gewaltsame Beschlagnahme der Räumlichkeiten und des
Eigentums der Partei und der Redaktion der Zeitung Predrassvetnyye ogni
führte zur Einleitung eines Strafverfahrens nach den Artikeln 170 und 171 des
Strafgesetzbuchs der Ukraine (Behinderung der rechtmäßigen Tätigkeit politi-
scher Parteien sowie Behinderung der rechtmäßigen beruflichen Tätigkeit von
Journalisten).
Die Ermittlungen bezüglich dieser Fälle dauern seit mehr als einem Jahr ein.
Deshalb haben die rechtmäßigen Mieter und Besitzer seit über einem Jahr
keinen Zugang zu den Büros der Partei und der Redaktion, zu ihrer Partei und
ihrem persönlichen Eigentum.
2. Das Justizministerium der Ukraine verweigert die Anerkennung der Änder-
ungen von Statut und Programm der PSPU und in den Führungsgremien der
PSPU, die von zuständigen legitimen Parteitagen beschlossen wurden; diese
Zusätze und Änderungen waren notwendig für die Anpassung an die Neufas-
sung der ukrainischen Gesetze „Über die politischen Parteien in der Ukraine“
und „Über die Verurteilung totalitärer kommunistischer und nationalsozialis-
tischer (Nazi-) Regime und das Verbot der Verbreitung ihrer Symbole“.
Dreimal - am 8. September 2015, am 25. Juni 2016 und am 18. März 2017-
veranstaltete die PSPU in Übereinstimmung mit dem Parteistatut ihren 29.
Außerordentlichen Parteitag, ihren 30. Ordentlichen Rechenschafts- und
Wahlparteitag und ihren 31. Außerordentlichen Parteitag.
Dreimal reichten wir beim Justizministerium der Ukraine ein vollständiges
Paket der geforderten Dokumente dieser Parteitage ein, und dreimal weigerten
sich die zuständigen Vertreter des Ministeriums, unter Verstoß gegen die oben
genannten Normen und Prinzipien des Völkerrechts, die Beschlüsse der PSPU-
Kongresse anzuerkennen und zu registrieren.
Dadurch mischen sie sich in die inneren Angelegenheiten der Partei ein, indem
sie die Normen des Parteistatuts willkürlich auslegen, illegale und tendenziöse
Bewertungen der Legitimität der Parteitage vornehmen und die ihnen gesetz-
lich auferlegte Pflicht versäumen, eine objektive rechtliche Bewertung der für
die Registrierung eingereichten Dokumente der PSPU vorzunehmen.
Es gibt keine Instruktionen für die Durchführung von Parteitagen oder korrekte
Umsetzung der gesetzlichen Normen. Es erweist sich als unmöglich, von den
Mitarbeitern des Justizministeriums Auskünfte über ihre Anforderungen hin-
sichtlich der Durchführung von Parteitagen und die ihrer Ansicht nach richtige
Anwendung der Normen des Statuts zu erhalten. Auf die zahlreichen Anfragen
der Parteiführung der PSPU nach Klärung dieser Forderungen erhält man vom
Ministerium nur eine Antwort: „Findet einen guten Anwalt, der wird das alles
für euch schreiben.“
Infolge dieser Haltung von Seiten des Justizministeriums gegenüber der PSPU
war die Partei bereits zweimal nicht in der Lage, sich an den Wahlen für die Or-
gane der lokalen Selbstverwaltung zu beteiligen. Die Teilnahme der PSPU an
den kommenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ist gefährdet.
3. Landesweite Fernsehsender haben direkte Drohungen führender Vertreter
der staatlichen Sicherheitsorgane (des Chefs des Sicherheitsdienstes der
Ukraine, V. Hrytsak) gegen die PSPU ausgestrahlt.
4. Am 17. März und 9. Mai 2017 haben von den ukrainischen Sicherheitsbe-
hörden gesteuerte Nazibanden physisch Demonstrationen verhindert und Mit-
glieder unserer Partei geprügelt, die sich an gesetzmäßigen und friedlichen
Aktionen der PSPU beteiligten. Es wurden keine Strafverfahren wegen dieser
offenen Gesetzesbrüche eröffnet, und die Verantwortlichen wurden nicht zur
Rechenschaft gezogen.
5. Es kommt fortdauernd zu Belästigung und physischer Gewalt gegen die Vor-
sitzenden der PSPU, Natalja Witrenko, Doktor der Ökonomie, Akademiemit-
glied, Volksvertreterin der Ukraine in der 2. und 3. Sitzungsperiode und Kandi-
datin für die Präsidentschaft der Ukraine 1999 und 2004, sowie Wladimir Mart-
schenko, Volksvertreter der Ukraine in der 1., 2. und 3. Sitzungsperiode und
Vorsitzender der PSPU-Fraktion in der 3. Sitzungsperiode der Obersten Rada
der Ukraine.
Am 9. Mai 2017 blockierte eine Gruppe von Neonazis die Wohnungen, in denen
N. Witrenko und W. Martschenko leben, beschädigten die Türen, drohten mit
physischer Gewalt und beschmierten die Flure mit beleidigenden Graffiti und
Drohungen. Obwohl die Polizei wiederholt gerufen wurde, tat sie nichts, um die
Rechte und Freiheiten der ukrainischen Politiker und Staatsleute N. Witrenko
und W. Martschenko zu schützen. Die Polizei sah in diesen Handlungen der
Nazis keine Provokationen. Gerichtsbeschlüsse, welche die zuständigen
Stellen in der Nationalen Polizei der Ukraine zur Eröffnung von Strafverfahren
auf der Grundlage dieser Fakten aufforderten, wurden von der Polizei faktisch
nicht umgesetzt. Eine ordentliche Untersuchung findet nicht statt und die
Schuldigen werden nicht zur Rechenschaft gezogen.
Auf diese Weise ermutigt die Regierung Gewalt von Neonazis gegen ihre
politischen Gegner.
Wenn wir analysieren, was in der Ukraine mit unserer Partei geschieht und wie
die Polizeibehörden und das ukrainische Justizministerium vorgehen, sind wir
überzeugt, daß sie einem Generalplan für Repressalien und politische Unter-
drückung ihrer ideologischen und politischen Opponenten, den Mitgliedern
der PSPU, folgen.
Wir bitten Sie, die oben beschriebenen Fakten zu analysieren und vom Stand-
punkt der europäischen Werte und der Normen und Prinzipien des Völker-
rechts zu bewerten.
Quelle und gesamter Artikel siehe http://bueso.de/content/wo-bleibt-europa-verteidigt-die-
rechte-einer-oppositionspartei-der-ukraine