Die Ebola-Epidemie wütet nun (Sept.2014) seit rund 6 Monaten, hat fünf Länder
erreicht und dabei mehr Menschen getötet als alle vorangegangenen Aus-
brüche dieser Krankheit. In Liberia scheint Ebola außer Kontrolle zu sein, in
anderen Staaten Westafrikas ist es ähnlich verheerend.
Berit Uhlmann (sueddeutsche.de) nennt einige Gründe, warum der Ausbruch
diesmal so dramatisch verläuft:
- Der Erreger: Das derzeit in Westafrika grassierende Virus stellt Forscher
noch vor Rätsel. Genomanalysen zeigten, dass es sich im Laufe des
Ausbruchs rasch veränderte. Ob die Mutationen zur Dramatik des Ausbruchs
beitrugen, ist noch ungewiss. Auffällig ist, dass das Virus - trotz der schlechten
Versorgungslage in den betroffenen Gebieten - fast die Hälfte seiner Opfer
überleben lässt. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie den Erreger
weitergeben.
- Das Epizentrum des Ausbruchs: Die Epidemie nahm ihren Ausgang in der
Präfektur Guéckédou in Guinea - in einer Gegend, die sich wie ein Faustkeil
zwischen die Grenze von Sierra Leone und Liberia schiebt. Viele der Menschen
verdingen sich dort als Tagelöhner, arbeiten heute diesseits, morgen jenseits
der Grenzen. Noch ehe die Welt des Ausbruchs richtig gewahr wurde, hatte er
bereits alle drei Länder erreicht.
- Fehlende Infektionskontrolle in den Gebieten: Guinea belegt den achtletzten
Platz im Human Development Index der Vereinten Nationen, ebenso wie im
Ranking der Weltbank. Liberia und Sierra Leone stehen kaum besser da.
Solche Staaten leisten sich keine Seuchenkontrolle. Es dauerte volle drei
Monate, ehe der Ausbruch erkannt wurde. Zu der Zeit waren bereits 50 Fälle
registriert. Jeder der Infizierten steckte im Schnitt 1,5 weitere Menschen an,
denn für die schnelle Eindämmung der Seuche fehlten Erfahrungen und Mittel.
- Mangelnde medizinische Ausrüstung: Auch wenn erprobte Arzneien nicht
existieren, lässt sich Ebola eindämmen: durch strikte Quarantäne. Doch
funktionierende Isolierstationen fehlen in den betroffenen Ländern. Selbst als
die Seuche auf die nigerianische Millionenstadt Lagos übergriff, mussten
Mediziner fast zwei Wochen warten, ehe ein Quarantänezentrum errichtet
wurde, klagte die amerikanische Seuchenschutzbehörde CDC.
Schutzausrüstung, Labore, sichere Transportmöglichkeiten - "in den Ebola-
Ländern mangelt es einfach an allem", sagt Florian Westphal, Geschäftsführer
der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen.
- Fehlendes medizinisches Personal: Wenn es denn ausreichende Schutzaus-
rüstungen gibt, stellen sie die Helfer vor neue Schwierigkeiten. In der oft
lähmenden afrikanischen Hitze wird ein Ganzkörperanzug über den
schwitzenden Leib gezogen, beschreibt eine Krankenschwester im New
England Journal of Medicine: Hinzu kommen eine schwere Schürze,
Kopfbedeckung, eine Schutzbrille, zwei Gesichtsmasken, zwei Paar dicke
Handschuhe und Stiefel. Das Ankleiden dauert geschlagene fünf Minuten und
wird durch einen eigens dafür abgestellten Mitarbeiter kontrolliert. Es wird so
heiß unter dieser Montur, dass die Mitarbeiter nach 40 Minuten abgelöst und
ihre Kleidung unter ebenso großen Sicherheitsvorkehrungen sterilisiert oder
verbrannt werden sollen (Anmerkung: ist ein solcher “Astronauten”-Ganz-
körperanzug - der die Hilfe in dem höllisch-heißen Afrika nahezu unerträglich
macht - wirklich notwendig ?? Wozu eigentlich dicke! Handschuhe und Stiefel,
Kopfbedeckung und Brille ???! - vor allem, da der Ebola-Virus nicht über die
Luft übertragbar ist.... !!! Siehe im Vergleich dazu die Schutzkleidung im Jahr
1995 (bei der anscheinend weniger ausländische Helfer an Ebola erkrankt sind
.... ??)
- Deshalb werde mindestens zweimal mehr Personal benötigt als Patienten
betreut werden, empfiehlt die WHO. Ein solcher Personalschlüssel ist in den
betroffenen Staaten illusorisch; hier kommen maximal zwei bis drei Ärzte auf
100.000 Einwohner. Und so eilten Helfer eben auch ohne die hinderliche
Schutzkleidung herbei, wenn ihnen ein fieberglühendes Kind gebracht wurde.
Die Folge ist eine ungewöhnlich hohe Zahl von medizinischen Angestellten
unter den Opfern. 120 Helfer starben bis Ende August. Die Verluste
verschärften den Personalmangel. Einrichtungen mussten geschlossen
werden, Angestellte streikten, ausländische Helfer kamen und kommen nur
zögerlich.
- Kulturelle Gepflogenheiten: An die Stelle der fehlenden Ärzte treten in den
betroffenen Ländern oft traditionelle Heiler. Sie mögen eine wichtige
gesellschaftliche Funktion erfüllen, doch zur Infektionskontrolle ist ihr
Vorgehen oftmals hinderlich oder gar kontraproduktiv. So hatten Heiler auf
vorangegangene Ausbrüche mit Aderlässen reagiert - ausgeführt mit nicht
sterilen Messern, über die das Virus weiter verbreitet wurde. Traditionelle
Bestattungen, bei denen sich die Angehörigen durch engen Körperkontakt vom
Verstorbenen verabschieden, sind ein weiteres Problem. In Guinea gingen
nach Schätzungen der WHO anfangs 60 Prozent der Übertragungen auf diese
Rituale zurück. Solche tief verwurzelten Traditionen lassen sich nur durch
geduldige und feinfühlige Aufklärung ändern. Auch dies ist eine unrealistische
Erwartung in Ländern, in denen schon simple Botschaften kaum ankommen.
- Fehlende Aufklärung: Wie sollen die Einwohner gewarnt werden, wenn - wie
in Guinea - nur 25 Prozent von ihnen leidlich lesen können und elektronische
Medien Mangelware sind? Auch in Liberia und Sierra Leone erreicht die Alpha-
betisierungsrate keine 50 Prozent. Anstelle von Informationen treten Gerüchte,
Mythen, Absurditäten. Kondensmilch und Zwiebeln kursierten als Geheimtipp
gegen Ebola. Ausländische Ärzte wurden angegriffen, weil die Menschen
glaubten, sie hätten die Krankheit erst ins Land gebracht.
- Fehlendes Vertrauen in Institutionen: Die mangelnde Kooperation der Ein-
wohner versuchten die Staaten durch drastisches Durchgreifen zu kompen-
sieren. Doch in Ländern, die Bürgerkriege, Diktaturen, Jahrzehnte der Instabi-
lität erlebt hatten, verstärkten militärische Maßnahmen den Reflex, sich lieber
auf sich selbst zu verlassen. Menschen flohen aus Quarantänestationen, ver-
steckten Erkrankte oder brachten sie in entferntere Regionen, wo sie neue
Krankheitsherde verursachten.
- Die WHO reagierte spät: Es war kein einfaches Frühjahr für die WHO. Im
arabischen Raum verbreitete sich das neue, tödliche Coronavirus Mers, von
dem noch nicht klar war, ob es das Gefährdungspotenzial seines Verwandten
Sars hatte. Im Mai rief die Behörde den internationalen Notstand aus, da die
unter enormen Anstrengungen fast schon ausgerottete Kinderlähmung wieder
um sich griff. Der etwa 20. Ebola-Ausbruch in Afrika schien da nur eine Rand-
notiz. Zumal die Behörde unter Mittelkürzungen litt. Das Budget für 2014/15
liegt etwa 25 Prozent niedriger als noch vier Jahre zuvor. Die Mittel für die
Bekämpfung von Ausbrüchen schrumpften innerhalb von zwei Jahren um die
Hälfte. Schon Ende Juni warnte die Organisation Ärzte ohne Grenzen: "Die
Epidemie ist außer Kontrolle." Es dauerte noch fast sechs Wochen, ehe die
WHO den Gesundheitsnotfall ausrief.
- Übertriebene Panik im Rest der Welt: 40 Prozent der Amerikaner glauben an
einen bevorstehenden, massiven Ebola-Ausbruch im eigenen Land, 26 Prozent
sind laut einer Umfrage der Harvard School of Public Health überzeugt, dass
die Krankheit innerhalb eines Jahres ihre Familie erreicht. Diese Befürchtun-
gen sind unbegründet; Ausbrüche können in den westlichen Ländern im Keim
erstickt werden. Doch sie schüren ein Klima der Angst, das den Kampf gegen
die Erkrankung erschwert. So wurden Flugverbindungen gekappt. Wenn sich
überhaupt Helfer finden, erreichen sie die Epidemie-Gebiete nicht rechtzeitig,
Hilfslieferungen bleiben aus und verschärfen die Lage weiter. WHO-Chefin
Margaret Chan sagte im Interview mit der New York Times: "Ich habe mich in
meinem Leben um so viele Ausbrüche gekümmert. Und um neue Krankheiten.
Dieser ist der schwierigste. Wissen Sie warum? Es ist der Angst-Faktor."
Quelle und gesamter Artikel: http://www.sueddeutsche.de/gesundheit/ebola-in-
westafrika-seuche-mit-angstfaktor-1.2121848-2