Anschläge in Istanbul, St. Petersburg, Stockholm:
Mehrfach kamen Täter aus Zentralasien. Was steckt
hinter dem Terror aus dem Osten?
Berlin.  Im Februar dieses Jahres tauchte Rahmat Akilow ab. Sein Name stand
mit 10.000 anderen Personen auf einer Liste der schwedischen Polizei. Akilow
floh vor den Behörden, die ihn abschieben wollten. Zurück nach Usbekistan,
wo seine vier Kinder und die Frau leben. 2014 war Akilow allein nach Schwe-
den eingereist, wie so viele Migranten aus Zentralasien – vor allem Usbeken,
Kirgisen, Tadschiken.
Er beantragte Asyl, das abgelehnt wurde, legte Widerspruch ein, der erfolglos
blieb. Akilow schlug sich durch mit Jobs auf Baustellen, fiel weder Nachbarn
noch Kollegen als radikal auf. Seit ein paar Monaten war er arbeitslos. Und als
sein Name auf der Abschiebe-Liste stand, verschwand Akilow vom Radar der
Behörden. Er tauchte erst am 7. April 2017 wieder auf – als er mit einem
gestohlenen Lastwagen durch eine Einkaufsstraße in Stockholm raste, vier
Menschen tötete und viele verletzte.
Er ist laut Ermittlern Sympathisant der Terrororganisation "Islamischer Staat".
Medien berichten, er habe im Gespräch mit der Polizei gegen die "Ungläubi-
gen" gehetzt und ein Ende der "Bombardierung Syriens" gefordert.
Vier Anschläge gehen auf Attentäter aus der Region zurück
Stockholm ist einer von mehreren Terroranschlägen, die in den vergangenen
Monaten für Schlagzeilen sorgten. Eine Woche vor der Bluttat in Stockholm
zündete ein Attentäter Bomben in der U-Bahn in St. Petersburg. In der Sil-
vesternacht erschoss ein Mann 39 Menschen in einem Nachtclub in Istanbul,
im Sommer 2016 töteten Extremisten 43 Menschen am Flughafen von Istan-
bul.
Es sind einzelne Beispiele des Terrors in Europa, denen eines gemeinsam ist:
Die mutmaßlichen Attentäter kommen aus Zentralasien, fast immer gibt es
Verbindungen nach Usbekistan. Die Anschläge lenken die Aufmerksamkeit
auf einen weiteren "Hotspot" der Radikalisierung, neben Nordafrika und dem
arabischen Raum.
Was steckt hinter dem Terror aus dem Osten?
Wer die Frage beantworten will, muss vordringen in eine Region, die nur
selten den Weg in die Aufmerksamkeit Europas findet – dabei sind es Länder,
zusammen fast so groß wie die EU, aber mit nicht einmal so vielen Bewohnern
wie Deutschland, geprägt von Bergen, Steppen und wenigen Metropolen.
Einst waren die Staaten zwischen dem Kaspischen Meer und China Teil des
Sowjet-Reichs. Mittlerweile sind sie unabhängig – und doch stehen sie in der
Sicherheitspolitik zum Teil der Führung in Russland immer noch nahe.
Schmelztiegel verschiedener Sprachen und Ethnien
Die Kulturen Zentralasiens sind Schmelztiegel verschiedener Sprachen,
Ethnien und Religionen. Mehrheitlich leben hier Muslime, die allermeisten
gemäßigt. Viele sehen den Islam eher als Alltagsritual denn als politische –
geschweige denn islamistische – Agenda.
Doch auch Fundamentalisten werden in den Ex-Sowjet-Staaten stärker.
Religiöse Gönner aus Saudi-Arabien helfen nach und finanzierten den Bau
etlicher Moscheen etwa in Kirgistan. In vielen Staaten regieren Autokraten, die
Korruption blüht, gute Arbeit gibt es wenig, die Menschenrechtslage ist fragil
bis erschütternd. Amnesty International berichtet von Folter etwa in Usbekistan
und Tadschikistan. Ein Mix, der Nährboden bietet für Radikalisierung, sagen
Experten.
Es gibt nicht "ein Zentralasien": Staaten wie Kirgistan oder Kasachstan koope-
rieren stärker mit Europäern und Amerikanern, etwa bei Bildungsprogrammen
oder Bauprojekten. Die Lage ist stabiler als etwa im autokratischen Usbekistan.
Doch sind alle diese Länder weit entfernt von Rechtsstaaten nach europäi-
schem Maßstab.
Vereinzelnd kam es seit 2000 zu Anschlägen, etliche mutmaßliche Terroristen
wurden verhaftet. Und seit einigen Jahren rekrutiert der IS seine Kämpfer auch
von hier. Nur schwer lässt sich die Szene durchleuchten, Einblicke geben Sich-
erheitsexperten, Wissenschaftler aus dem Westen und Forscher, die vor Ort
arbeiten.
3000 Zentralasiaten kämpfen in Syrien und Irak
Sie schätzen die Zahl der Dschihadisten, die in den vergangenen Jahren von
Zentralasien in das Kampfgebiet des IS in Syrien und Irak ausreisten, auf etwa
3000 bis 4000. Somit gehören Länder wie Usbekistan und Kirgistan zu den
wichtigen Einzugsgebieten des IS – ebenso wie der Kaukasus, vor allem
Tschetschenien, aber eben auch die EU, aus der rund 5000 Dschihadisten
ausgereist sein sollen.
Sie nennen sich "Al-Bukhari-Brigade" oder "Katibat al-Tauhid wal
Dschihad". Nicht alle Zentralasiaten zieht es zum IS – vor allem Usbeken
kämpfen dort auch für konkurrierende Al-Qaida-Ableger. Ihr Fernziel ist auch:
ein "Kalifat" in ihrer Heimat.
Die Islamisten waren schon zu Sowjetzeiten auf dem Vormarsch. Doch das
Ende des Sowjetregimes hinterließ ein ideologisches Vakuum, eine Identitäts-
lücke in einer Gesellschaft im Umbruch. Wissenschaftler wie Uwe Halbach
von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin (SWP) analysierten eine
"Wiedergeburt" der theologischen Islamlehre in den mehrheitlich von Musli-
men bewohnten zentralasiatischen Staaten, eine "späte Rache" sowjetischer
Religionspolitik, die auch Islamschulen unterdrückt und den Glauben auf ein
unpolitisches Brauchtum reduziert habe.
In den 1990er Jahren, mitten in dieser Umbruchphase, gründeten Radikale die
"Islamische Bewegung Usbekistan" (IBU). Zunächst unterstützte sie die
Taliban in Afghanistan und Pakistan. Mitte 2014 flohen ihre Anhänger vor
dem pakistanischen Militär aus Waziristan zurück nach Afghanistan.
Dort legte die IBU-Führung Ende Juli 2015 den Treueid auf den IS ab.
Kriminelle schließen sich dem IS an
In Propaganda-Videos rufen sie von Syrien aus die Muslime in ihrer Heimat
oder in Russland und der EU zum Kampf gegen die Regierungen und die
"Ungläubigen" auf, über Facebook oder Telegram vernetzen sie sich. Der
Dschihadismus funktioniert international nach gleichen Mustern – und doch
hat er regionale Besonderheiten.
Terroristische Organisationen wie IS und al-Qaida speisen sich zu einer Viel-
zahl aus früheren Kriminellen. Das gilt nach Ansicht von Sicherheitsleuten und
Experten wie dem US-Forscher Noah Tucker im hohen Maße auch für Dschi-
hadisten aus Zentralasien. Etliche, die heute bei der IBU oder dem IS kämpfen,
waren nach Ende der Sowjetzeit in kriminellen Netzwerken aktiv, handelten
mit gestohlenen Waren, Drogen oder Waffen.
Auch Kleinkriminelle wechselten in der Vergangenheit zu den Dschihadisten.
Das Motiv ist häufig nicht die Religion, sondern: Geld verdienen im "Heiligen
Krieg" – durch Sold und Kriegsbeute wie etwa Häuser, aus denen Jesiden
fliehen mussten. "Trophäen sammeln", wie es heißt. Und endet der Dschihad
für sie, wechseln manche einfach zurück in kriminelle Organisationen.
Häufig waren die meist jungen Männer aus den Staaten Zentralasiens nicht erst
in Syrien mit Gewalt konfrontiert, sondern schon in ihrer Heimat. Islamisten
mischten im Krieg in Tadschikistan mit. In manchen Gegenden flammten
mehrfach Konflikte unter ethnischen Gruppen auf, auch Willkür von Seiten des
Staates gehören zum Alltag der Menschen in manchen Regionen von Tadschi-
kistan oder Usbekistan. Es haben sich über die Jahre Gewaltkulturen etabliert.
Verbot und Verhaftungen im Kampf gegen Extremisten
Somit gelten IS-Kämpfer aus Usbekistan oder Tadschikistan als erfahren an
Waffen und Militärtechnik im Vergleich etwa zu Ausreisenden aus Deutsch-
land oder Frankreich. Viele kämpften vor dem Bürgerkrieg in Syrien schon in
Afghanistan oder Pakistan. Denn nach Afghanistan vertrieb die usbekische
Regierung mit der Härte eines Polizeistaates etwa Terroristen der IBU.
Überhaupt gilt: Die Staaten Zentralasiens reagieren zunehmend mit Verboten
von extremistischen Organisationen auf die Bedrohung durch den Terror,
inhaftieren Anhänger des IS und  überwachen Moscheen.
Wissenschaftler vor Ort kritisierten, dass rigide Maßnahmen und im Vergleich
zu Deutschland drakonische Haftstrafen gegen mutmaßliche Islamisten eher
zum Ziel haben, die Opposition in den Autokratien wie Usbekistan zu unter-
drücken.
Doch auch die Bekämpfung von Armut oder der Zugang zu Bildung sind kein
Garant für Sicherheit. In den Reihen der Extremisten finden sich längst nicht
nur "Verlierer", sondern nach Recherchen des kasachischen Forschers Erlan
Karin auch ein hoher Anteil besser Gebildeter.
Kampf gegen Radikalisierung muss wie in Deutschland auch in Regionen wie
Zentralasien auf mehreren Ebenen ansetzen: Sicherheit, Bildung, persönliche
Motive.
Prävention steckt noch in den Anfängen
Anders als in USA und Europa wächst erst allmählich in Zusammenarbeit mit
internationalen Organisationen die staatlich geförderte Deradikalisierung in
Zentralasien, um die komplexe post-sowjetische Gesellschaft mit modernen
Präventionskonzepten auszustatten. Usbekistan etwa lässt Imame schulen,
Kirgistan legt Programme für inhaftierte Extremisten auf.
Usbeken wollen Europäer gewarnt haben
Der Mann, der Anfang April mit einem Lastwagen vier Menschen in
Stockholm tötete, war den Sicherheitsbehörden in seiner Heimat offenbar
bekannt, auch hier steht sein Name seit einiger Zeit auf einer Liste: als
Unterstützer religiöser Extremisten. Akilow soll unter Usbeken über das
Internet für den Dschihad geworben und zu Gewalt aufgerufen haben.
Angeblich, so ließ der usbekische Außenminister nach dem Attentat verlauten,
hätten die usbekischen Behörden die Sicherheitsleute in der EU sogar vor
Akilow gewarnt. In Schweden, so sagen es die Polizeichefs, will man davon
nichts gewusst haben.
Quelle und gesamter Artikel: https://www.abendblatt.de/politik/article210306349/Wieso-der-
Terror-in-Europa-auch-oft-aus-Zentralasien-kommt.html
Mehr zu Usbekistan und Zentralasien siehe ...