Die Europäische Union (EU) befindet sich schon seit Jahren in einer schweren
Krise, wobei ihre ursprünglichen Werte – nämlich die „Europäische Gründ-
ungs-Idee“ von Demokratie, Frieden und Wohlstand für alle EU-Mitgliedsländer
- immer mehr zu scheitern und in Vergessenheit zu geraten drohen.
Aber warum ist da so? Was sind die tieferen Ursachen dafür – und wie könnte
eine Lösung ausschauen?
George Soros, einer der größten und einflussreichsten – aber auch einer der
umstrittensten - Finanzexperten und - investoren auf unserem Planeten
hat sich in seinem Buch „Wetten auf Europa“ Gedanken darüber gemacht.
Man kann über Soros geteilter Meinung sein, aber das, was er über die
Ursachen der europäischen Krise schreibt, ist einleuchtend und plausibel.
Aber bilden Sie sich selbst ein Urteil ….
Als Grund für dieses Buch nennt George Soros, der 1930 in Ungarn als Jude
geboren wurde und die Schrecken sowohl des Nazi-Regimes als auch des
nachfolgenden Kommunismus hautnah miterlebt hat (bevor er nach Amerika
emigrierte), folgendes: „Als Student an der London School of Economics and
Political Science hatte ich in den 1950er Jahren Gelegenheit, frühe Versuche
einer europäischen Einigung genau zu untersuchen. Sowohl intellektuell als
auch emotional war dieser Einigungsgedanke also tief in mir verankert. Ich
glaube, deswegen bewegt mich die Euro-Krise heute auch so sehr. Denn ich
mache mir große Sorgen um Europas Zusammenhalt. Dieser freiwillige
Zusammenschluss gleichberechtigter Staaten droht sich seit Beginn der Krise
radikal zu wandeln: in eine Zweckgemeinschaft zwischen Schuldnern und
Gläubigern, aus der es für die Schuldner kein Entkommen gibt. Mich erinnert
die aktuelle Lage innerhalb der EU mehr an ein Schuldnergefängnis als an eine
gleichberechtigte Gemeinschaft.“
Und weiter: „Ich habe mittlerweile einen amerikanischen Pass, aber in meinem
Herzen bin ich immer noch Europäer. Für mich ist die Europäische Union das
ideale Modell einer offenen und freien Gesellschaft. Deswegen berührt mich die
Krise in Europa so persönlich. Ich mache mir große Sorgen, dass diese
Gemeinschaft zerbricht – und viele Menschen in Europa scheinen diese Gefahr
nach wie vor zu ignorieren. Leider glaubten auch vor dem Ersten Weltkrieg
oder in den Jahren der Weimarer Republik viele Menschen, es werde schon
nichts Schlimmes passieren. Dann kam es doch anders. Ich habe persönlich
erst die Diktatur der Nazis erleben müssen, dann die Herrschaft der Kom-
munisten. Ich wünsche mir, dass nie wieder so dunkle Zeiten in Europa
anbrechen.“ (Soros*, S.61ff.)
Warum - und ab wann - ist der friedliche Einigungsprozess der EU ins Stocken
geraten?
Als Hauptgrund sieht Soros die Einführung des EURO - und dass die EU-
Mitgliedsstaaten nicht mehr das Recht haben, Geld in ihrer eigenen Währung
zu drucken - denn dieses Recht wurde der EZB übertragen. Damit wurde es
möglich, dass einzelne EU-Mitgliedsstaaten pleite gehen konnten ...
Unmittelbarer Auslöser für die derzeitige Euro-Krise war jedoch die
Weltfinanzkrise im Jahr 2008 ...
Und damals (als die Weltfinanzkrise ausbrach), machte Angela Merkel gemäß
Soros dann einen großen Fehler. Denn zu diesem Zeitpunkt wäre es darauf
angekommen, die Märkte zu überzeugen, dass die Politik nicht noch eine
weitere Bank pleitegehen lassen würde, die sich als systemrelevant erwies. Als
kurz nach Aus-bruch der Euro-Krise die EU-Finanzminister eine Konferenz des
Internatio-nalen Währungsfonds in Washington früher verließen, um sich in
Paris zu treffen, gaben sie gemeinsam eine solche Garantie ab. Doch dann
machte Merkel gemäß Soros einen historischen Fehler: sie betonte, dass jedes
Land einzeln haften werde, nicht die Europäische Union gemeinsam. Damit
unterminierte sie aber die gerade gegebene Garantie.
Gemäß Soros hätte sie das Euro-Projekt auf die nächste Stufe heben sollen,
indem sie die Schulden der einzelnen Staaten in Euro-Bonds umwandeln hätte
müssen. Das hätte die Märkte dauerhaft beruhigt, so Soros: “Nach Merkels
Aussage kehrte zwar kurz Ruhe ein, doch sehr bald fanden die Investoren
heraus, was nicht stimmte: dass nämlich unter diesen Umständen EU-Mit-
gliedsstaaten pleitegehen können, weil sie nicht über genug Mittel verfügen,
um ihre Banken mit gewaltigen Garantien zu stützen. Merkels Zurückrudern
war vermutlich der folgenschwerste Fehler der gesamten Euro-Krise.” (Soros,
S.68ff.)
Ein weiteres Hauptproblem der EU ist derzeit ohne Zweifel die übergroße
Dominanz von Deutschland - ohne dass sich dieses jedoch gleichzeitig solida-
risch und großzügig gegenüber den schwächeren Mitgliedsländern zeigt.
Hier ein weiterer Auszug aus dem Buch:
“Schmitz: Verstößt eine einzelne Nation, die so klar den Kurs vorgibt, nicht
gegen den europäischen Gedanken, der auf Kooperation, nicht auf Dominanz
angelegt war?
Soros: Und das schafft gleich zwei Probleme, ein politisches und ein
finanzielles. Das politische ist offensichtlich: Die Europäische Union war als
Zusammenschluss gleichberechtigter Staaten angelegt, doch heute bestimmen
die Gläubigerstaaten über die Schuldnerstaaten. Sie können deren Politik
beeinflussen und vorgeben.
Und das finanzielle Problem liegt im extremen Sparkurs, auf dem die
Gläubigerstaaten beharren - obwohl es mitten in einer Wirtschaftskrise genau
die falsche Medizin ist.
Europa braucht Konjunkturpakete und mehr öffentliche Ausgaben, um Wachs-
tum zu schaffen und dadurch Schulden abzubauen. Gerade wenn Europa eine
seiner größten Errungenschaften, das soziale Netz, dringend bräuchte, wird es
zerschnitten. Das ist verrückt.
Schmitz: “Mehr Europa” stand in der Vergangenheit stets für mehr wirtschaft-
lichen Fortschritt, insbesondere in den ärmeren Ländern des Kontinents. Nun
verbinden viele Menschen damit Austerität, Arbeitslosigkeit, Abbau.
Soros: Ich würde sogar noch weiter gehen: Viele Menschen verbinden damit
Stagnation und verlorene Jahre, womöglich sogar Jahrzehnte. Genau diese
Sorge treibt mich um: dass der am meisten entwickelte Kontinent der Welt sich
zurückentwickelt. Am traurigsten aber ist, dass diese Entwicklung stets als
unvermeidlich beschrieben wird - obwohl es doch Auswege gäbe. Mir kommt
das Ganze wie ein Alptraum vor, in dem man sich gefangen glaubt, obwohl
man leicht entkommen könnte.
Schmitz: Man muss nur aufwachen?
Soros: Die Europäer müssen begreifen, dass die Regeln, unter denen sie
operieren, sich als verhängnisvoll falsch herausgestellt haben. Ich habe mich
sehr lange mit dem Thema beschäftigt und glaube, dass gleich zwei
Lösungsansätze besser wären als der Status quo.
Eine Möglichkeit - die bessere - wäre, dass Deutschland seine derzeitige
Dominanz akzeptiert und auch die Verantwortung, die damit einhergeht. Das
Land müsste ein wohlwollender, ein großzügiger Hegemon werden, so wie die
Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg.
Die Alternative wäre, dass Deutschland den anderen Staaten die Abnabelung
erlaubt, indem es die Euro-Zone verlässt. Das wäre ein großer Schock für
Deutschland, aber eine große Erleichterung für den Rest des Kontinents.
Beide Optionen werden jedoch so gut wie nicht diskutiert. Und deswegen droht
Europa eine lange Phase der Stagnation, die auf Dauer unerträglich werden
wird.
Schmitz: Was bedeutet das für Europas Zukunft?
Soros: Man muss auf Dauer den Euro von der Idee einer Europäischen Union
trennen und begreifen, dass der Euro ein Mittel zum Zweck ist, nicht ein Zweck
an sich. Wir müssen die EU als eine offene Gesellschaft bewahren: demokra-
tisch, und mit einem Wohlfahrtsstaat ausgestattet, in dem Schwache Schutz
genießen.
Schmitz: Wie soll das geschehen? Eine grundlegende Änderung der
Europäischen Verträge - oder der Struktur der Währungsunion - hat derzeit
wenig Rückendeckung.
Soros: Im Moment scheint so ein Schritt nur schwer vorstellbar, weil jede
Änderung zu stärkerer politischer und wirtschaftlicher Integration führen
müsste. Und das wollen viele Mitgliedsstaaten nicht mehr. Wir müssen aber
nach einer europäischen Lösung suchen statt nach vielen nationalen, denn
sonst zerplatzt der Traum einer Europäischen Union.
Wir müssen uns wieder an die historischen Wurzeln des Projekts erinnern,
diesen Geist der Solidarität und Kooperation. Und diesen Prozess muss
Deutschland als stärkste Macht in Europa anstoßen.” (Soros*, S.69ff.)
Soweit einer der größten Finanzexperten unserer Zeit zur momentanen
EU- und Euro-Krise.
In dem Buch wird übrigens auch ausführlich mit dem Mythos aufgeräumt, dass
Deutschland das Opfer der Euro-Krise ist (in Wahrheit hat es nämlich zu der Krise
beigetragen - und auch davon profitiert) ...
Es ist demnach nicht richtig (wie das vor allem auch in deutschen Medien
immer wieder behauptet wird) , dass die Krise in erster Linie griechischen
Betrügern, spanischen Bausündern und italienischen Lebenskünstlern anzu-
lasten sei - die Eurostruktur hingegen keinen Systemfehler aufweise ...
Und auch der Mythos, dass “Austerität die Rettung bringt” wird schlüssig
widerlegt ...